Wachsende Schwierigkeiten,
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von seiner unbestreitbaren moralischen Bedeutung, auch aus operativen
Erwägungen nur dankbar begrüßen. Zeitlich in ein angemessenes Ver-
hältnis zu den an der Somme bevorstehenden Kämpfen gegen die Engländer
gesetzt, ließ die Wegnahme von Apern eine Einwirkung auf deren Verlauf
erhoffen. Indessen „mit Rücksicht auf die augenblickliche Lage an der öfter-
reichischen Front" sah sich General von Falkenhayn außerstande, dem Vor-
schlage der 4. Armee zuzustimmen. Er antwortete, daß eine Entscheidung
auf den Antrag zur Zeit nicht möglich sei.
Von der Absicht, an der Somme „den in Vorbereitung befind-
lichen englischen Entlastungsangriff durch einen wuchtigen Gegenangriff
im Keim zu ersticken" — falls sie bis dahin noch bestanden haben sollte —,
konnte jetzt keine Rede mehr sein. Nicht aber verschwand damit der
Offensivgedanke überhaupt aus dem Vorstellungskreise des Generalstabs-
chess. Cr lebte fort, wenn auch gewiß nicht ohne quälende Zweifel und
bange Sorgen im Hinblick auf die Kampfführung im Maas-Gebiet, und
beeinflußte auch weiter die Erwägungen über das künftige Verhalten gegen
die Engländer. Deren Offensive sollte abgewiesen und mit Gegenangriff
beantwortet werden.
Diese Aufgabe schien sich aber jetzt noch schwieriger zu gestalten als
bisher. Denn was von der Nachrichtenabteilung der Obersten Heeres-
leitung seit Mitte Mai als möglich bezeichnet worden war, hatte im Laufe
der letzten Wochen mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit gewonnen: daß
die Franzosen, ungeachtet ihrer Inanspruchnahme durch die Schlacht
um Verdun, fähig und gewillt waren, sich mit beträchtlichen Kräften an der
Offensive der E n g l ä n d e r zu beteiligen. Mitte Juni stand fest, daß sie
einen Teil der Front ihrer Nachbarn nördlich der Somme übernommen
hatten. Die Nachrichten-Abteilung berechnete die Zahl der französischen
Reserven außerhalb des Kampfgebiets an der Maas auf 19 Divisionen,
während die zum Angriff auf die deutsche 2. Armee nördlich
der Somme bereitgestellten Divisionen der Engländer auf 20bis 22 geschätzt
wurden. Außer dem Hauptangriff beiderseits des Flusses schien ein N e b e n -
angriff der Engländer bei Lens gegen die 6. Armee möglich,
wenn auch Anzeichen für einen solchen bisher nicht vorlagen'). Ebensowenig
ließ sich aus Nachrichten über den Feind und Erkundungsergebnissen die
von General von Falkenhayn im Gegensatz zum Armee-Oberkommando 6
l) Kronprinz Rupprecht von Bayern hat in einer Zuschrift vom 27.Juli 1934
mitgeteilt, daß General von Falkenhayn auf Grund von Agentennachrichten mit einem
Angriff der Engländer in Richtung auf Lille gerechnet habe. Aus den Akten hat sich
darüber nichts feststellen lassen. Tatsächlich haben dem englischen Oberbefehlshaber
längere Zeit Angriffsabsichten in Flandern nicht ferngelegen (©. 50 und 326).