548
Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
Dauer war aber die zahlenmäßige Übermacht des Gegners doch zu groß; sie
ließ die größere Tüchtigkeit der deutschen Truppen nicht zu d e r Wirkung
kommen, die die obere Führung erhoffte. Die alten, in großen Schlachten
bewährten Divisionen waren in fortgesetzten Kämpfen und anstrengenden
Märschen bei ungünstiger Witterung schließlich so zusammengeschmolzen, daß
die Bataillone teilweise noch nicht 300 Mann und kaum ein halbes Dutzend
Offiziere zählten. Dafür hatten Landwehrverbände, schnell zusammen-
geraffte Crsatzformationen und junge Truppen in schwere Kämpfe geführt
werden müssen, bei denen sie infolge ungünstiger Zusammensetzung, mangel-
hafter Ausrüstung und Bewaffnung trotz besten Wollens schnell an Kampf-
wert einbüßten. Da seit Wochen auf der ganzen Front Gefechtsberührung
mit dem Gegner bestand, hatte es weder Ablösung aus der Kampflinie noch
Ruhe gegeben.
In zäher Verteidigung des heimatlichen Bodens haben aktive, Reserve-
und Landwehr-Verbände, Crsatztruppen, Landsturm und neuaufgestellte,
zum großen Teil aus jungen Freiwilligen bestehende Formationen ihr
Bestes hergegeben. Daß der übermächtige Gegner bis Anfang November
nur unbedeutende deutsche Grenzstriche besetzen konnte, bleibt ihr Verdienst
und das der willensstarken und rastlos tätigen Armeeführung des Generals
v. Schubert wie des Generals v. Franyois. Der Aufenthalt, den der Gegner
an der Grenze erlitt, hat die Zeit verschafft, die Lötzen-Angerapp-Stellung
zu einem so starken Bollwerk auszubauen, daß die Abwehr dort künftig mit
geringsten Kräften durchgeführt werden konnte.
Über die deutschen Gefechtsverluste hat sich Sicheres nicht feststellen
lassen, bei überschläglicher Berechnung kommt man auf 15000 bis
20000 Mann. Dem standen — neben den schweren blutigen Verlusten
der Russen — gegen 20000 Gefangene und etwa 50 Geschütze als Beute
gegenüber.