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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
die Führung erschwert. Der Feldzug krankte daher schon an der ersten Ver-
sammlung: die Masse des österreichisch-ungarischen Heeres hatte sich zwischen
Karpaten und oberer Weichsel auf engstem Räume zusammengeballt, die
deutsche 9. Armee aber mußte gegen den Willen ihrer Führer in unmittel-
barer Anlehnung daran aufmarschieren. Politische Gründe hatten dabei ent¬
scheidend mitgesprochen. Im weiteren Verlaufe war die große zahlen¬
mäßige Überlegenheit des russischen Heeres einerseits,
die verminderte Stoßkraft des öfterreichifch-ungarifchen Heeres anderer-
seits ausschlaggebend. San und Weichsel, vom Regen angeschwollen,
boten den Russen sicheren Schutz für jede Umgruppierung ihrer Kräfte,
die befestigten Brückenköpfe von Iwangorod und Warschau erleichterten
ein Wiedervorbrechen zum Angriff. In dem Gebiet unmittelbar östlich
der mittleren Weichsel hatten die Russen ein verhältnismäßig gut aus-
gebautes Bahn- und Straßennetz, während das „Weichsel-Vorland" west¬
lich des Stromes in jeder Hinsicht geflissentlich vernachlässigt worden war,
um einem eindringenden Gegner Schwierigkeiten zu machen. So waren
alle Vorteile des Kriegsschauplatzes in Polen den Russen, alle Rachteile
^>en Truppen der Mittelmächte zugefallen.
Als Generalmajor Ludendorff am 13. September den gemeinsamen
Operationsplan mit General v. Conrad besprach, hofften beide, daß sich
Gelegenheit zu einem Schlage gegen die rechte Flanke der Russen bieten
werde. Diese aber waren nach den Erfahrungen von Tannenberg und den
Mafurischen Seen, soweit deutsche Truppen ihnen gegenüber standen, noch
zurückhaltender geworden, als sie es schon gewesen waren. Sie haben sich
dem Schlage, der ihnen westlich von San und Weichsel zugedacht war, recht-
zeitig entzogen; so wurde der deutsche Angriff bei Opatow ein Luftstoß.
Vorsichtiges Ausweichen und zahlenmäßige Überlegenheit ermög-
lichten es den Russen, trotz aller Langsamkeit ihrer Bewegungen, hinter
dem Weichsel-Strom eine neue übermächtige Angriffsfront mit starkem
rechten Flügel aufzubauen. Dabei hatte aber der Großfürst aus Galizien
schließlich so starke Kräfte weggezogen, daß die Rollen der deutschen
9. Armee und des österreichisch-ungarischen Heeres gegeneinander ver-
tauscht waren. Das war ungünstig. General v. Freytag berichtete dar-
über damals am 19. Oktober: „Die vom Kaiserlichen und Königlichen
Heere gemeinsam mit unserer 9. Armee eingeleitete Offensive mußte von
vornherein den unvermeidlichen Abelstand in Kauf nehmen, daß sie für
unsere 9. Armee und für Teile der österreichischen 1. gegen die Weichsel
führte, während den auf dem rechten Weichsel-!lfer befindlichen Haupt-
kräften des Kaiserlichen und Königlichen Heeres zufiel, durch ihren
Druck auf die gegenüber befindlichen russischen Kräfte dem Feinde eine