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Der Feldzug im Osten bis Ende Oktober 1914.
gegen Ostpreußens Südgrenze vorstoßenden Russen hatten so geringe Kampf,
kraft gezeigt, daß das Gelingen eines Angriffs der ganzen deutschen 8. Armee
über den Narew nicht zweifelhaft schien. Von den dortigen Befestigungen
war, nach den Erfolgen, die man im Westen gegen weit stärkere Anlagen
erzielt hatte, kein wesentlicher Aufenthalt zu erwarten. Nur gegen Ossowjez,
das aber seitwärts der Stoßrichtung über den Narew lag, war schwerste
Artillerie erforderlich; sie wurde am 12.September bei der Obersten Heeres-
leitung beantragt. Gegen die anderen Plätze genügten schwere Feldhaubitzen
und die in Königsberg vorhandenen Mörser (21 cm). So schien jetzt doch
die Zeit gekommen für die verbündeterseits so oft erbetene Operation über
den Narew auf Sjedlez, sie mußte schneller und kräftiger wirken als ein
Vorstoß aus Schlesien und Posen. Voraussetzung war allerdings, daß sich
das österreichisch-ungarische Heer am San so lange hielt, bis die Hilfe vom
Narew her im Rücken der Russen wirksam wurde. Daß sich diese Voraus-
setzung erfüllen werde, hielt man beim Oberkommando der deutschen
8. Armee aber doch nicht für ganz sicher; man mußte die verbündete Heeres-
13. September, leitung hören. Zur Einleitung der neuen Operation stand am 13. Sep.
tember als erster größerer Verband das Garde-Reservekorps bereit. In-
zwischen war die Wendung der Dinge im Westen bekannt geworden.
Generaloberst v. Hindenburg ließ daher, bevor er Weiteres anordnete, an
diesem Tage um 11° vormittags bei der Obersten Heeresleitung anfragen,
auf wieviel Kräfte der Osten weiterhin rechnen könne, und fügte hinzu: „für
Defensive in Preußen drei Armeekorps erforderlich".
Diese Anfrage kreuzte sich mit einer Entscheidung der Obersten
Heeresleitung, die sich auf Grund österreichisch-ungarischen Drän-
gens und eigener Beurteilung der Lage schon entschlossen hatte, die Front
der Verbündeten unmittelbar zu stützen, um ihr weiteres Zurückweichen zu
verhindern. Ihnen sollten die zwei Armeekorps der 8. Armee zur Verfügung
gestellt werden, die diese — aber bei anderer Lage in Ostpreußen — am
10. September für eine in Schlesien zu bildende Armee verfügbar gemeldet
hatte. Der 8. Armee war daher am 13. September um 1°° nachmittags
befohlen worden: „Baldigst zwei Armeekorps freimachen und bereitstellen
zum Abttansport nach Krakau. Antwort, wann Bereitstellung möglich."
Gleichzeitig war die Bitte um schwerste Artillerie gegen Ossowjez abgelehnt
worden.
Beim Oberkommando der 8. A r m e e konnte man diese Entscheidung
mit der oben erwähnten eigenen Anfrage nicht in Einklang bringen und
vermochte sich daher kein klares Bild von den Absichten der Obersten Heeres-
leitung zu machen: Sollten die beiden Korps allein nach Krakau gehen und
dort der österreichisch-ungarischen Heeresleitung zur Verfügung gestellt