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Die Karpaten-Offensive.
Vorgehen über die Karpaten durch den Gegenangriff der Mittelmächte in
Frage gestellt. Der Großfürst hatte dem englischen General Paget, der
gerade bei ihm eingetroffen war, Anfang Februar dargelegt^), die Lage des
russischen Heeres sei bis Ende April „sehr kritisch". Die Gewehr- und
Munitionslage würden täglich ernster. Am angreifen zu können, brauche
man eine Million Gewehre, da die Crsahmannschaften sonst nicht in die
Front eingestellt werden könnten. Cs handele sich also vor allem um Zeit¬
gewinn. Dazu wünschte man die Hilfe der Verbündeten.
In einem Telegramm, das am 21. Februar zur Übermittelung an
General Ioffre und Feldmarschall Lord Kitchener an die Westmächte gingH,
wurde die Gesamtauffassung über die Entwicklung der Lage an der russischen
Front in folgende Darlegung zusammengefaßt, die zeigte, wie richtig man
die Vorgänge beurteilte: „Gegen Ende Januar^) hat Deutschland seine
Kräfte an unserer Front beträchtlich verstärkt, teils durch Neubildungen,
teils durch Truppen von der Westfront. Diese Vermehrung seiner Streit¬
macht an unserer Front gab ihm die Möglichkeit, unter Ausnützung seiner
Eisenbahnen beträchtliche Kräfte in Ostpreußen wie auch in Ostgalizien
zusammenzuziehen. Dorthin wurde gleichzeitig ein großer Teil öster¬
reichischer Truppen vom serbischen Kriegsschauplätze gebracht. Die neue
Versammlung hatte offenbar den Zweck, einen ernstlichen Druck aus unsere
beiden Heeresflügel auszuüben, wobei die Hauptkrast an der ostpreußischen
Front eingesetzt wurde. Dort haben wir leider einen ernsten Mißerfolg
erlitten, und die neue Lage zwingt uns, eine Neugliederung unserer Kräfte
vorzunehmen, um beide Flügel zu verstärken, was gleichzeitig unvermeid¬
lich zu einer Schwächung unserer Kräfte auf dem linken Weichsel-Afer
führen muß." — Am dieselbe Zeit ließ der Großfürst außerdem den fran¬
zösischen Botschafter in Petersburg „auf zartfühlende Weise wissen, daß
er glücklich wäre, wenn die französische Armee die Offensive ergriffe, um
die Beförderung deutscher Streitkräfte nach der Ostfront zum Stillstände
zu bringen".
Den Gedanken der Eroberung Ostpreußens hatte der Großfürst an¬
gesichts der veränderten Lage allmählich aufgegeben und sich „teils aus
politischen Erwägungen, teils unter dem Einfluß der Berichte des Ober¬
kommandierenden der Südwestsront mehr und mehr dem Plane einer gro߬
zügigen Offensive auf dem österreichisch-ungarischen Kriegsschauplatz"^) zu¬
gewandt, die aber doch frühestens im Mai beginnen konnte. Die ab¬
weichende Auffaffung des Generals Danilow wurde abgelehnt.
i) Walentinow, S. 36 und 59. — -) Abgedruckt bei Walentinow, S. 36. —
'••) Russisches Datum. — *) Danilow, S. 439 f.