Volltext: Die Befreiung Ostpreußens (2. 1925)

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Die Leiden Ostpreußens. 
in Sicherheit zu bringen. Alles, was man zurückließ, siel dem Feinde in 
die Hand und war damit ohnehin verloren; die Russen würden es selbst 
verbrauchen oder, wenn sie wieder zurück mußten, mit sich wegführen oder 
vernichten. So ordnete die Etappen-Inspektion am 22. August auf 
Grund einer Weisung des Armee-Oberkommandos die Zurücksührung 
von Vieh und Erntevorräten hinter die Weichsel an. Die 
Bahnen waren aber gerade jetzt voll in Anspruch genommen. Eine 
umfassende Abbeförderung aus dem an sich geeigneten und damals 
auch mitbenutzten Wasserwege, sowohl binnenlands über Haff und Nogat, 
als über die Danziger Bucht, war nicht so schnell in die Wege zu leiten. 
So mußte trotz aller entgegenstehenden Bedenken und trotz der dabei 
zu gewärtigenden Verluste im wesentlichen der Landweg gewählt werden. 
Dazu sollte das in den Kreisen östlich der Weichsel vorhandene Vieh zunächst 
an,Sammelpunkte zusammengetrieben, das aus der Weichselniederung selbst 
sofort aus das westliche Flußufer abgeschoben werden. 
Solche Maßnahmen waren von den Behörden und der Bevölkerung 
in keiner Weise vorausgesehen und kamen daher völlig überraschend. 
Sie ließen die schon im Gange befindliche Flucht der Bevölkerung 
ins Angemessene anwachsen. Dabei konnten nur wenige in den 
für Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Eisenbahnzügen fortkommen, 
die Masse, vor allem die ländliche Bevölkerung, mutzte die Straße be¬ 
nutzen. 
Jeder ließ Haus und Hof im Stich. Die ganze Einrichtung, die Ernte, 
die Masse des Viehs blieb unbewacht zurück. Nur das Notwendigste 
konnte aus den Wagen mitgenommen werden; ein Teil des Viehs 
wurde mitgetrieben. So zogen auf allen Straßen unübersehbare 
Züge von Wagen, Menschen und Tieren gegen Westen. Meist ältere 
Männer — die anderen waren bei der Fahne —, Frauen und Kinder, alle 
teilten das gleiche Los, zehrten von dem Mitgenommenen und lagerten 
nachts in schon verlassenen Orten oder im Freien. Ohne viel Klagen 
fügten sich die braven Ostpreußen in ihr hartes Los. Ein Glück nur, daß 
warmes und trockenes Augustwetter das teilweise Wochen dauernde 
Leben aus der Landstraße noch einigermaßen erträglich machte! Ähnliches 
Flüchtlingselend hatten deutsche Lande seit über 180 Jahren nicht mehr 
gesehen. Damals strebten an die 20000 Salzburger, durch religiöse Un¬ 
duldsamkeit von Haus und Hof vertrieben, der ihnen, vor allem in Ost¬ 
preußen, angebotenen neuen Heimat zu. Jetzt bildeten ihre Nachkommen 
wiederum einen Teil der auf etwa eine halbe Million angewachsenen 
ostpreußischen Flüchtlingsscharen, die aber diesmal mitten im Kriege 
einem völlig ungewissen Schicksal entgegenzogen.
	        
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