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Die Schlacht bei Gumbinnen.
zuführen. Der Oberquartiermeister, Generalmajor Grünert, und der
erste Generalstabsoffizier, Oberstleutnant Hofsmann, hatten diesen
Entschluß kommen sehen. Sie glaubten, daß die Schlacht bei Gum¬
binnen am 21. August durchaus zu gewinnen sei und daher durchgekämpft
werden müsse; sie wiesen daraus hin, daß man beim Zurückgehen ohnehin
nicht mehr kampflos an der Narew-Armee vorbeikomme, denn diese
habe den bei weitem kürzeren Weg zur Weichsel. Man werde ihr
gegenüber aber ganz anders dastehen, wenn man vorher die Njemen-
Armee geschlagen und dadurch Rückensreiheit habe.
Generaloberst v. Prittwih wies diese Einwendungen zurück und
blieb in Abereinstimmung mit seinem Generalstabschef bei dem Ent¬
schlüsse zum Rückzug. Er wurde in seiner Auffassung noch bestärkt
durch eine etwas später eingehende Fliegermeldung über zahlreiche
feindliche Truppen bei Stallupönen und den Marsch einer Kolonne von
Schilleningken auf Pillkallen^). Man sah in ihnen Verstärkungen für
den russischen Nordflügel. Es konnte das russische Gardekorps sein, das
man nach Agentennachrichten in dieser Gegend erwartete.
Zu dem Rückzugsentschlusse des Generalobersten v. Prittwih ist zu
sagen: Die deutsche 8. Armee hatte gerade jetzt erreicht, was das höchste
Ziel jeder Operation der deutschen Minderheit sein mußte, sie hatte eine
der russischen Armeen in der Vereinzelung zum Kampfe gestellt. Würde
sich eine ähnlich günstige Gelegenheit je wieder bieten? — Das Ziel des
Feldherrn mußte der Sieg über die Njemen-Armee sein. Errang er den,
dann lösten sich alle anderen Schwierigkeiten leichter. Ob die Narew-
Armee sich dann noch weit vorwagte? Wenn sie es tat, war ihr Rückzug
ebenso bedroht wie der der deutschen 8. Armee. Diese aber hatte das
moralische Abergewicht des Siegers auf ihrer Seite.
Hätte Generaloberst v. Prittwitz für den 21. August an einen Sieg
geglaubt, dann hätte wohl auch er weiter gekämpft, trotz der Bedrohung
durch die Narew-Armee. So aber kam beides zusammen: ein seiner
Auffassung nach fraglicher Schlachtausgang und die Gefahr im Rücken.
Damit ist der Entschluß zum Rückzüge bei der Kenntnis der Lage, wie sie
das Armee-Oberkommando damals hatte, auch nicht anfechtbar. Der
Gedanke „heraus aus der Umklammerung" beherrschte die Stimmung
des Oberbefehlshabers und seines Generalstabschefs am 20. August
abends so vollständig, daß ein anderer, vielleicht kühnerer Entschluß, der
i) Vermutlich ist diese Kolonne die deutsche 1. Kavallerie-Division mit ihren Ge-
fangenen gewesen.