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Die Schlacht bei Gumbinnen.
6. Der Entschluß zum Rückzüge.
(Karte 2 und 3.)
Das Armee-Oberkommando hatte den ganzen Tag über in Ver¬
bindung mit den Generalkommandos gestanden und war über den Stand
der Schlacht dauernd unterrichtet. Die Erfolge des I. Armeekorps
und das rasche Vordringen des XVII. Armeekorps hatten im Laufe des
Vormittags eine siegessichere Stimmung erzeugt. Sie wurde gedämpft,
als man erfuhr, daß der Angriff des I. Armeekorps zum Stehen gekommen
sei, und als die ersten Nachrichten von Rückschlägen beim XVII. Armee¬
korps eintrafen.
In den Nachmittagstunden des 20. August hatte man beim Ober¬
kommando folgendes Bild von der Lage:
Auf dem Nordslügel war die 2. Landwehr-Brigade von der Inster
nach Westen abgezogen. Von der 1. Kavallerie-Division fehlten Nach¬
richten, seit sie am Morgen zur Verfolgung vorgegangen war. Vermut¬
lich beherrschte die mehr als dreifach überlegene russische Kavallerie die
Lage im Norden der beiderseitigen Armeen. Dem russischen Nordslügel
konnten im übrigen mit der Bahn jederzeit Verstärkungen zufließen. So
schien es trotz der Erfolge der deutschen 2. Infanterie-Division keineswegs
sicher, daß durch Fortsetzung des Angriffs auf diesem Flügel am folgenden
Tage die Entscheidung zu erlangen war. In der Mitte konnte man sich
von einem neuen Angriffe der Hauptreserve Königsberg und des
XVII. Armeekorps nicht mehr viel versprechen. Ein Sieg schien danach
an diesem Tage kaum noch zu erhoffen. Als man vollends erfuhr, daß
das Korps hinter die Rominte zurückgehe, und die Nachrichten¬
offiziere den Zustand der weichenden Truppen in düsteren Farben
schilderten, entstanden beim Oberbefehlshaber und seinem Generalstabs-
ches auch Zweifel, ob es möglich sein werde, den Angriff am nächsten
Tage mit Aussicht aus Erfolg fortzusetzen. Es schien, daß man zu¬
frieden sein mußte, wenn die Mitte ihre Stellungen hielt. Auch das
I. Reservekorps und die 3. Reserve-Division aus dem Südslügel standen
einem vermutlich gleich starken Gegner gegenüber. Man rechnete damit,
daß hier noch weitere russische Kräfte im Anmarsch seien. Aber selbst
wenn der Flankenangriff der 3. Reserve-Division am 21. August früh
aus dem Südflügel einen vollen Erfolg brachte, konnte das auf die
Gumbinner Kampffront an demselben Tage noch kaum eine Einwirkung
haben. So schien ein rascher und entscheidender Erfolg gegen die
Nsemen-Armee zwar nicht unmöglich, aber doch keineswegs wahrscheinlich
oder gar sicher. Daher erwog Generaloberst v. Prittwitz schon um