Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

Kaiser Wilhelm I. an Kaiser Alexander IlI., 5. 1.1888 
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Gr. Pol., Bd. VI, Nr. 1174 
Kaiser Wilhelm I. an Kaiser Alexander III. von Rußland 
(Von der Hand des Prinzen Wilhelm geschrieben) 
(Übersetzung) Berlin, den 5. Januar 1888 
Mein lieber Großneffe! 
Die Freude, die mir Ihr Besuch bereitet hat, ist für mich eine 
Veranlassung mehr, anläßlich des Neujahrs die Wünsche auszu- 
sprechen, die mir die uns einigenden Familienbande und die Gleich- 
artigkeit unserer monarchischen Interessen einflößen. Meine Jugend 
stand unter dem Einflusse der gegenseitigen Zuneigung unserer 
Väter; ich habe diese Tradition in meinem langen Leben bewahrt und 
halte darauf, sie Ihnen in einem Augenblick von neuem auszu- 
sprechen, wo die Völker, deren Regierung Gott uns anvertraut hat, 
nur ihre Monarchen haben, um ihnen die Wohltaten des Friedens 
und der sozialen Ordnung zu erhalten, die überall in Europa bedroht 
sind. Um diesem edlen Zwecke zu entsprechen, wird es vor allem 
nötig sein, zwischen uns jedes Mißverständnis zu beseitigen, das die 
Zuversicht schwächen könnte, die wir wechselseitig zu den fried- 
lichen und freundschaftlichen Absichten hegen, die für unsere Politik 
bestimmend sind. Ich habe in einem amtlichen Blatte, dem „russi- 
schen Invaliden‘“, über die Verteilung meiner Truppen Angaben ge- 
lesen, die, wenn sie begründet wären, Zweifel über den Charakter 
meiner Politik entstehen lassen könnten. Ich habe unverzüglich be- 
fohlen, daß diese Frage einer genauen Prüfung unterworfen werde, 
und halte es für meine Pflicht, Ihnen in der Anlage die mir auf 
Grund ‚einer genauen und vertieften Prüfung gemachten Angaben 
mitzuteilen. 
Die vom „Invaliden‘ mitgeteilten Ziffern sind ungenau, sowohl 
hinsichtlich der Ergänzung meiner Truppen als auch in dem, was 
sich auf unsere Eisenbahnbauten bezieht. Ich füge hier zum Beweise 
dessen eine übersichtliche Tabelle bei, die von meinem Minister der 
öffentlichen Arbeiten angefertigt ist, in der sich alle fertigen oder 
im Bau befindlichen Linien auf dem rechten Ufer der Oder seit 1878 
angegeben finden, und von denen ein Teil gegenwärtig noch nicht 
vollendet ist. 1 
Diese Tabelle beweist, daß die vom „Invaliden‘ veröffentlichten 
Ziffern um das Doppelte der Wahrheit übertrieben waren, und daß 
die meisten dieser Bauten von keiner militärischen Bedeutung sind, 
da sie nur den Interessen des Handels und der Landwirtschaft 
dienen. 
. Eine der überraschendsten von den ungenauen Behauptungen 
des „Invaliden‘“ ist die auf meine Festungen bezügliche. Graudenz 
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