Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

Otto v. Bülow an Stäatssekretär v. Bülow, 7.9. 1879 
Mißverständnisse die alte Freundschaft zwischen Deutschland und 
Rußland zum beiderseitigen Nutzen unverändert bleiben möge * 
= Am 4, vormittags hat Seine Majestät unser Kaiser die Herren 
von Giers, Graf Adlerberg* und Miljutin empfangen. Die Unterredun- 
gen mit den beiden Erstgenannten scheinen von keiner besonderen 
Bedeutung gewesen zu sein. Seine Majestät hat von der Preßfehde 
gesprochen und den Unterschied betont, welcher auf diesem Gebiete 
zwischen Rußland und uns bestehe. Dort hätte man auf Grund des 
autokratischen Regiments und des Belagerungszustandes längst ein- 
schreiten können und müssen, während in Deutschland die Gesetz- 
gebung Schranken ziehe. 
Ferner. hat der Kaiser beiden Herren unsere Abstimmungsgrund- 
sätzein den orientalischen Kommissionen auseinandergesetzt, nament- 
lich daß und weshalb dieselben keine feindlichen Tendenzen gegen 
Rußland verfolgten. Die Herren von Giers und Graf Adlerberg haben 
ihrem Wunsche auf Fortdauer der gegenseitigen innigen Beziehungen 
lebhaftesten Ausdruck gegeben. Sn 
Bei weitem bedeutungsvoller ist offenbar die Unterredung Seiner 
Majestät mit dem Kriegsminister Miljutin gewesen. Derselbe hat 
unter anderm geäußert: es bereite sich im Orient etwas gegen Ruß- 
land vor; der Berliner Vertrag möge eine Weile vorhalten, lange — 
nach seiner Überzeugung — nicht. England habe, außer auf Zypern, 
auch auf Kleinasien die Hand gelegt, wo z. B. unter der Maske von 
Konsuln englische Generäle und Beamte installiert wären, um das 
Terrain für die Zukunft vorzubereiten. Man wolle Rußland dort den 
Weg verlegen5. Auf Ägypten hätten England und Frankreich ihr 
Auge geworfen; wer von beiden die Palme davontrage, werde die 
Zukunft lehren. Österreich endlich habe durch die Okkupation zweier 
Provinzen auf der Balkanhalbinsel festen Fuß gefaßt. Er wisse — hat 
Miljutin weiter bemerkt —,. daß sich eine Tripelalliance zwischen 
England, Österreich und Frankreich gegen Rußland vorbereite®; da 
sei es denn doch nur natürlich, daß Rußland rüste? und sich für alle 
Eventualitäten vorbereite. (Einschaltend bemerkte Seine Majestät 
gegen mich: wenn dem so sei, so werde doch Rußland nicht so 
selbstmörderisch sein, auch noch mit uns anbinden zu wollen8, an 
letzteres könne er daher nicht glauben. Fast fürchte er, daß man in 
Rußland schon „Wind“ von dem Gegenstande der Gasteiner Be- 
sprechungen habe.) _ 
General Miljutin hat seine Auseinandersetzungen gleichfalls mit 
der Versicherung seiner Sympathien für Deutschland und dem Aus- 
drucke des Wunsches? auf Fortdauer der guten Beziehungen zwi- 
schen beiden Reichen beschlossen. a N 1 
Hier erlaubte ich mir ehrfurchtsvoll zu bemerken: mit diesen 
* General Graf Adlerberg, Minister des Kaiserlichen Hauses. 
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