Volltext: Dokumentarium zur Vorgeschichte des Weltkrieges 1871-1914

2, Teil, Nr. 19 
mir das Gegenteil als wahr bekannt war. Hätte eine wirkliche An- 
näherung zwischen Frankreich und Rußland vorgelegen, und. der 
Kaiser mit einer solchen drohen wollen, so wäre eine. wahrschein- 
lichere Fassung gewählt worden. Durch den sonstigen Text des 
kaiserlichen Briefes. konnte ich in meinem Verdachte. einer heim- 
lichen russisch-österreichischen Verständigung, in deren Besitz der 
Kaiser Alexander Euerer Majestät eine Art von Ultimatum stelle, 
nur bestärkt werden. Meine Ungeduld, durch Graf Andrässy wo- 
möglich eine Aufklärung zu gewinnen, mußte sich also steigern. 
Für den Fall, daß diese Aufklärung keine beruhigende gewesen 
wäre, waren wir, meines untertänigsten .Dafürhaltens, in der Not- 
wendigkeit, einstweilen Rußland gegenüber bonne mine ä mauvais 
jeu zu machen, und den Forderungen des Kaisers Alexander in den 
orientalischen Sachen entgegenzukommen, weil das. Hauptmotiv, die 
Schonung unserer österreichischen Beziehungen, uns nicht mehr 
gehindert haben würde, der russischen Politik am Balkan jede ihr 
erwünschte Gefälligkeit zu erweisen. In diesem Sinne erschien mir 
die von Euerer Majestät beschlossene Sendung des Feldmarschalls 
von Manteuffel.als eine Reservedeckung für den Fall, daß Andrässys 
Rücktritt den Übergang der österreichischen Politik in das russische 
Lager bedeuten konnte. Der kurze Termin, welchen Euere Majestät 
für die Einreichung des Entwurfs der Antwort stellten, nötigte mich, 
diesem . Entwurfe eine Fassung zu geben, welche ihn für den Fall 
verwendbar machte, daß Österreich die Anlehnung an.Deutschland 
aufgegeben hätte, und also unsere Beziehungen zu Rußland größerer 
Pflege und Nachgiebigkeit von unserer Seite bedürfen sollten. 
Als mein Briefentwurf schon in Euerer Majestät Händen war, 
kam Graf Andrässy her, und ich gewann durch seine Haltung sehr 
bald die Überzeugung, daß Österreichs Beziehungen zu Rußland und 
zu uns die alten waren, und daß die österreichische Politik, erfüllt 
von Sorge über die russischen Rüstungen und über die bedrohliche 
Unruhe in der Politik Rußlands, ihrerseits nach Friedensbürgschaf- 
ten in Europa suchte, zunächst und in Zweifel darüber, wie weit es 
auf Deutschland im Fall der Not rechnen könne, bei England, Daß 
damit nicht nur die Ansichten des Grafen Andrässy ausgedrückt 
waren, sondern daß auch der Kaiser Franz Joseph in einer engeren 
Verbindung. mit Rußland kein Heil sieht, die mit Deutschland aber 
festzuhalten bereit ist, geht aus dem anliegenden Schreiben. hervor. 
Wenn ich nunmehr .gewiß zu sein glaube, daß: die‘ Besorgnis 
ungegründet war, welche mich veranlaßte, den Entwurf für Euerer 
Majestät Antwort an den Kaiser Alexander weicher zu halten, 
und der berechtigten Verstimmung Euerer Majestät. weniger 
Raum zu geben, als mir politisch richtig erschienen sein würde, wenn 
ich über die Österreichisch-russische Koalitionsbefürchtung schon 
beruhigt gewesen wäre, so sehe ich darin doch keine Schädigung 
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