Rußlands Kriegspolitik
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verschiedener Färbung — für die Politik der Regierung erklärt. Aber
die Einheit der politischen Front überdauerte kaum den ersten Kriegs¬
winter. Dann — zumal aber nach den schweren Niederlagen des Jahres
1915 und der dadurch hervorgerufenen heillosen Verwirrung im Ver-
pflegs- und Eisenbahnwesen — begannen sich aus der Vielheit der Par¬
teien und Strömungen die drei großen Gruppen abzuheben, die der
weiteren Entwicklung im Zarenreiche ihren Stempel aufdrückten. Auf der
Linken hatten sich die Sozialisten schon im Frühjahr 1915 schärfstens
gegen die Fortführung des Krieges ausgesprochen. Sie arbeiteten von da
an auf Umsturz und Revolution hin, zettelten zahlreiche Streiks an und
gewannen zusehends in der Arbeiterschaft an Boden. Auch die Armee
blieb schon nicht unberührt, obgleich die Regierung sich zunächst noch
durch schärfsten Druck zu wehren suchte. Gegen solchen Druck lehnte
sich nun aber auch der unter der Führung Miljukows aus den liberalen
Parteien gebildete Dumablock der Mitte auf. Dieser trat für die Ge¬
währung demokratischer Freiheiten und den Übergang zu einer parla¬
mentarischen Monarchie ein, bildete aber dagegen bei seinem betont
nationalistischen Einschlag die stärkste Stütze der von den Westmächten
betriebenen Kriegspolitik. Auch dieser Gruppe fehlte es in der Armee,
und zwar vor allem im Offizierskorps, nicht an Anhang. Von der kon¬
servativen, antidemokratischen Rechten blieb nur ein Teil der auf Sieg
and Landerwerb eingestellten, allianzfreundlichen Politik treu. Ein ande¬
rer Teil begann zu fürchten, daß die Fortführung des Krieges schlie߬
lich den Sturz der Dynastie und die Revolution bringen werde, und
arbeitete mehr oder minder zielbewußt auf den Frieden hin, der bei
dem starken Kriegswillen der Alliierten nur ein Sonderfriede hätte
werden können. Die öffentliche Meinung gewöhnte sich bald daran, in
der mystisch veranlagten Zarin Alexandra Feodorowna und in dem selt¬
samen Mönch Rasputin die maßgebenden Vorkämpfer dieser Bewegung
zu erblicken. Auch Stürmer, seit Februar 1916 Ministerpräsident, seit
Juni überdies Nachfolger Sasonows im Außenamt, galt sowohl bei der
Entente wie bei den Mittelmächten als Anhänger eines Sonderfriedens.
Zum anderen sah sich aber auch Rußland von Monat zu Monat wirt¬
schaftlich enger mit den Westmächten verkettet, und der Zar selbst gab
dem Gedanken an einen Sonderfrieden kaum je ernstlich Raum. Ihm
widerstrebte ein Bruch mit den Alliierten. Überdies fühlte er sich durch
das „Gelöbnis von 1812" gebunden, das er zu Kriegsbeginn abgelegt hatte
und das ihm verbot, einen Frieden zu schließen, ehe der Feind den von
ihm besetzten russischen Boden herausgegeben hatte. Die Aussicht, daß
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