Bratianus scheinbar zaudernde Politik
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Obwohl schon seit Jänner 1916 militärische Besprechungen mit der
Entente gepflogen und auf Wunsch Frankreichs besonders durch Ru߬
land geführt wurden1), hielt Bratianu im Hinblick auf die allgemeine
Kriegslage den Zeitpunkt für das Eingreifen Rumäniens noch nicht für
gekommen. Erst der für das Frühjahr 1916 von der Entente geplante
Generalangriff sollte für das Königreich das Signal zum Losschlagen
sein. Bis dahin gab es weiter Zeit zum Unterhandeln2). Um Deutsch¬
land über diese Zeitspanne hinweg „einzuschläfern"3), verstand sich
Rumänien zu einem Handelsübereinkommen und erfüllte pünktlich die
übernommenen Verpflichtungen zur Lieferung von Getreide und Roh¬
ölprodukten4). Dies hinderte Bratianu allerdings nicht, den noch im
Lande befindlichen Getreideüberschuß um zwölf Millionen Pfund Ster¬
ling an England zu verkaufen, das — wenngleich es diese Vorräte nicht
ausführen konnte — damit verhindern wollte, daß diese Brotfrüchte den
Mittelmächten zugute kämen5).
Seit den Tagen von Verdun setzte Frankreich in Bukarest und in
Petersburg ganz besonders alle Hebel in Bewegung, um Rumäniens
ehesten Eintritt in den Krieg zu erzielen. „Es ist kein Preis zu groß,
um den wir das Bündnis mit Rumänien erkaufen müssen", ließ General
Joffre anfangs März den Generalstabschef der Stawka wissen6).
Gdl. Alexejew war jedoch nicht der gleichen Meinung. Er besorgte,
daß Rußland die Kosten des rumänischen Anschlusses werde tragen
müssen, und glaubte die Interessen seines Vaterlandes in einer „ge¬
sicherten Neutralität" Rumäniens am besten bewahrt. Daher gingen
— so sehr Frankreich auch drängen mochte — die Verhandlungen
zwischen Petersburg und Bukarest über ein militärisches Zusammen¬
wirken nur schleppend vor sich, dies um so mehr, als sich die Kriegs¬
lage im großen nicht verändert hatte und daher für Rumänien noch
immer kein Zwang zur Entscheidung vorlag. Erst die überraschend
großen Erfolge der Armeen Brussilows brachten in Bukarest das Eis
zum Schmelzen. Der Augenblick des Eintrittes Rumäniens in den Krieg
war gekommen. Darüber herrschte volle Einhelligkeit der Anschau¬
ungen im Lager der Entente. Sogar Gen. Alexejew ließ sich bekehren
x) L a r c h e r, La grande guerre dans les Balkans (Paris 1929), 135.
2) Wassiljew, Die rumänische Front (in russ. Sprache, Moskau 1922), 52.
3) Das Zaristische Rußland im Weltkriege, 232.
4) F a 1 k e n h a y n, Heeresleitung, 173.
5) E r z b e r g e r, Erlebnisse im Weltkrieg (Stuttgart 1920), 110.
6) Diakow, Rumäniens Eintritt in den Weltkrieg und der Chef des russischen
Generalstabes General Alexejew (Mil. wiss. Mitt., Wien, Jhrg. 1933, 584 ff.).
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