Volltext: Gedenket der vorigen Tage!

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köstlichster Art gekrönte Periode ist für Schladming die Zeit 
von 1849 bis 1861 gewesen. — Es war „Kirchenfreiheit" 
und die alte „Toleranz" hatte ein Endc. Unter Dank vor 
dem gütigen Gott und Rührung der Herzen erwachte in der 
Gemeinde der lebhafte Wunsch, von der gebotenen Freiheit 
auch einen ausgiebigen Gebrauch zu machen und auch in den 
äußeren Gegenständen der Religion dem übrigen Christenvolke 
sich gleichzustellen. Allein wo anfangen? — Nach reiflicher 
Erwägung faßte die Gemeinde den Entschluß, zuerst die größere 
Glocke zum künftigen Kirchengeläute anzuschaffen, da gerade 
hiemit ein bedeutender und kostspieliger erster Schritt gethan 
wäre, um so wichtiger für die evangelischen Glaubensgenossen, 
weil die katholische Gemeinde seit dem Brande von 1814 den 
Evangelischen das Begräbnißgeläute versagt hatte. Senior- 
Häupter begann noch 1848 zu freiwilligen Beiträgen aufzu¬ 
fordern und hatte reichen materiellen und moralischen Erfolg, 
denn Junge und Alte, Arme und Wohlhabende kamen mit 
Gaben und Scherflein herbei. Zwei brave Mädchen aus der 
Gemeinde standen eines Sonntags vor des Seniors Tisch und 
fragten um die Glocke, wie groß sie wohl etwa werden solle? 
— „Nun, etwas kleiner als die große Glocke auf dem katho¬ 
lischen Thurm!" war die Antwort. Da flog ein trüber 
Schatten über die kindlichen Angesichter und die Sprecherin 
rief: „Aber warum denn so?" — „Nun denn, also gleich 
groß!" — „Aber — Herr Senior, warum nicht ein Wenig 
größer? Wir wollen gerne so lange geben, bis sie bezahlt 
ist!" — Schweigend war hinter den Beiden ein ehrenwerther 
alter Hausvater gestanden; der hatte zugehört und sprach jetzt 
freudig erregt: „Recht so, Dirudl'n! Das Zahlen hört ein¬ 
mal auf, aber die Freud' muß uus bleiben!" — So dachte 
die größte Zahl der Gemeindeglieder und der Gedanke sollte 
reif werden in der That. Die Glocke, 31 Eentner wiegend, 
von Franz Hollederer in Linz gegossen^ traf am 3. August 
1851 in Schladming ein. Es war ein Sonntag. Am Schluffe 
des Gottesdienstes war der Gemeinde verkündet worden, daß 
die Glocke komme. Wen da nicht die äußerste Nothwendigkeit 
nach Hause trieb, der blieb in Schladming. Jede Minute 
wurde lang. Endlich! Ein mit vier schönen Pferden be¬ 
spannter Wagen führt rasch über den Marktplatz und bringt 
die mit Blumengewinden gezierte Glocke durch die freudig er¬ 
regte aber schweigende Menge zum Pfarrhaufe hin. Da wird
	        
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