Volltext: Die österreichisch-ungarischen Dokumente zum Kriegsausbruch

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Sazonow beabsichtigte Taktik auszusprechen. Minister scheut den 
Krieg ebenso wie sein kaiserlicher Herr und sucht, ohne aus unserem 
serbischen Feldzug sofortige Konsequenz zu ziehen, uns die Früchte 
desselben, wenn möglich ohne Krieg, streitig machen zu können, sollte 
es aber zum Krieg kommen, in denselben besser als jetzt gerüstet 
einzutreten. Durch eine von friedlichen Erklärungen begleitete, 
scheinbar nur gegen Österreich-Ungarn gerichtete, zugleich Rumänien 
eine Rückendeckung bietende Mobilisierung soll Deutschland tunlichst 
ausgeschaltet, auf Österreich-Ungarn in der serbischen Kampagne 
möglichst gedrückt und, sobald unsere Operationen zu einem Erfolg 
geführt haben, die Rettung Serbiens durch Rußland vorgenommen 
werden. Sollten die übrigen Balkanstaaten sich rühren und aus 
unserem Vorgehen Profit ziehen wollen, würde Rumänien zum 
Schutze des Bukarester Friedens vorgeschoben. Wollte Österreich- 
Ungarn hiegegen Stellung nehmen, könnte es zum europäischen 
Kriege mit Rumänien auf russischer Seite kommen. Wollten aber 
Österreich-Ungarn und Deutschland aus der russischen Mobilisierung 
schon jetzt die Konsequenzen ableiten und einen militärischen Vor¬ 
sprung Rußlands nicht aufkommen lassen, stünde das friedliche Ru߬ 
land als angegriffen da und hätte mehr Aussicht, auf diese Weise 
Frankreich und vielleicht sogar England mitzureißen, und unsere 
günstige moralische und militärische Situation in Europa würde 
geschädigt. Rußland umgeht die Klemme, die sich aus der Berech¬ 
tigung unseres Vorgehens gegen Serbien ergibt, und wäre doch in der 
Lage, vielleicht sogar ohne Krieg zu führen, seine Balkaninteressen 
zu wahren. 
Unter Anführung solcher Konsiderationen dürfte Kaiser Nikolaus 
für die ihm gewiß wenig sympathische Mobilisierung gewonnen 
worden sein. Daß die militärischen Kreise eifrig am Werk sein 
dürften, diesen komplizierten politischen Kalkül wenn nur irgend¬ 
möglich auf eine einfachere Formel zu reduzieren und durch 
Stimmungmachen und Einwirkung auf den Kaiser im Wege falscher 
Nachrichten, sobald eine gewisse Kriegsbereitschaft erreicht ist, die 
Ereignisse nach Tunlichkeit zu präzipitieren, ist allerdings keines¬ 
wegs ausgeschlossen. 
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Herr Otto an Grafen Berchtold 
Telegramm Nr. 199 Ceti n je, den 30. Juli 1914 
Gattaro, Aufg. 9Uhr 30 M. p. m. 
Eingetr. 9 Uhr •/. a.m. 31./7. 
Mein Telegramm Nr. 199 von heute geheim1. 
Mit soeben eingetroffener, morgen von Cattaro abgehender 
Note fragt hiesige Regierung formell an, ob wir mit dem Kriege 
gegen Serbien Eroberungsabsichten verbinden. 
1 Vgl. III, Nr. 22.
	        
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