Volltext: Die österreichisch-ungarischen Dokumente zum Kriegsausbruch

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Doch habe er — Tschirschky — kürzlich ein Gespräch mit 
Herzog Avarna gehabt, der seiner Überzeugung Ausdruck gegeben 
habe, die italienische Regierung werde in dem österreichisch¬ 
ungarisch-serbischen Streitfall ihre Bundespflicht getreu erfüllen 
und — sollten in der italienischen Öffentlichkeit auch gegenteilige 
Stimmen laut werden — auf der Seite Österreich-Ungarns stehen. 
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Graf Szápáry an Grafen Berchtold 
Telegramm Nr. 148 Petersburg, den 21. Juli 1914 
Chiffre — Geheim 
Herr Poincaré empfing heute das diplomatische Korps, und zwar 
die Botschafter einzeln in Anwesenheit des Ministers des Äußern 
Viviani und des französischen Botschafters Paléologue. 
Präsident drückte mir in warmen Worten seine Sympathie an¬ 
läßlich des Sarajevoer Attentats aus und ging dann auf das politische 
Gebiet über, indem er nach der Situation in Albanien fragte, worüber 
sich eine längere Konversation entspann. Sodann erkundigte er sich 
über das österreichisch-ungarisch-serbische Verhältnis, bemerkte, daß 
man in Serbien beunruhigt sei, und fragte, welche Auffassung man 
diesbezüglich bei uns hege. Ich erwiderte, daß man bei uns die Lage 
mit Gelassenheit betrachte, weil man überzeugt sei, daß sich Serbien 
dem, was wir zu verlangen haben würden, nicht verschließen werde. 
Auf die weitere Frage, welche Forderungen man dann an Serbien 
richten wolle, beschränkte ich mich darauf zu verweisen, daß die 
bezügliche Untersuchung noch im Gang und' mir über deren Ergebnis 
nichts bekannt sei. 
Herr Poincaré erging sich hierauf in einem mit großem orato- 
rischen Aufwand und Nachdruck gehaltenen Vortrag, in welchem er 
auseinandersetzte, daß es wohl nur dann , zulässig sei, eine Regierung 
für etwas verantwortlich zu machen, wenn konkrete, gegen dieselbe 
sprechende Beweise vorliegen, es sei denn, daß es sich um einen bloßen 
Vorwand handeln würde, was er doch Österreich-Ungarn gegenüber 
einem so kleinen Lande nicht zumute. In einem solchen Falle dürfe 
man aber nicht vergessen, daß Serbien Freunde habe, und daß hie- 
durch eine für den Frieden gefährliche Situation entstehen würde. 
Ich beschränkte mich auf eine ruhige und sachliche Erwiderung und 
hob hervor, daß jede Regierung bis zu einem gewissen Grade für alles 
verantwortlich sei, was auf ihrem Gebiete vorgehe. Der Präsident 
suchte diese These durch Konstruktion analoger Fälle zwischen 
anderen Staaten zu invalidieren, so daß ich darauf verweisen mußte, 
daß alles auf die Umstände ankomme, daß solche Analogien unvoll-
	        
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