Der Waffenstillstand von Villa Giusti usw.
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Forderung nach voller staatlicher Selbständigkeit an. Der Marburger Volkstag ver¬
langte die Vereinigung aller Teile des slowenischen, kroatischen und serbischen Volkes
in einem selbständigen, unabhängigen, freien Staat. Aufflammende Streiks auch im
deutschen Gebiete ließen erkennen, daß die deutsch-österreichische Sozialdemokratie
sich von ihrem im Grunde genommen g¿rofi0sterreichischen Programm abkehrte. Im ent¬
ferntesten Teile der Monarchie, bei der Flotte in der Bucht von Cattaro, kam es zu
Meutereien, die „ungesäumten Friedensschluß" erstrebten. Sie wurden mit Waffenge¬
walt unterdrückt. Zur selben Zeit mußte die wöchentliche Brotration auf 1.1 kg herab¬
gesetzt werden und — um zu einem Frieden zu kommen, der bis Juli 1 Million Tonnen
Getreide versprach —, sah sich der k. u. k. Außenminister Graf Czernin veranlaßt, der
Überlassung des Cholmerkreises an die Ukraine zuzustimmen. Darüber empörten sich
polnische Eisenbahner Galiziens und traten, einig vom Verschieber bis zum Hofrat,
in den Streik. Keine Staatsgewalt schritt ein! Plünderungen in vielen Städten folgten,
Kaiserbilder wurden verbrannt, Doppeladler mit Pech beschmiert.
Februar: Es wird bekannt, daß die sinnfälligste und festeste Stütze des Donau¬
reiches, die „einheitliche Armee" bedroht ist, daß Ungarn dem jungen Monarchen
die Zustimmung zur Trennung in eine ungarische und in eine österreichische Armee
abgerungen hatte. Das Deserteurunwesen nahm zu. Mit gespannter Aufmerksamkeit
blickten die slawischen Völker, aber auch die links orientierten Teile der anderen
nach Brest-Litowsk, wo eben das Wunderbare geschah, daß ein 100 Millionenvolk aus
eigenem Entschluß die schwere Bürde des Krieges abschüttelte.
März : Kriegsminister Stöger-Steiner schreibt an das Armeeoberkommando :
„Weder Euer Exzellenz noch ich können zugeben, daß der Bekleidungszustand der
Armee derart herunter geht, ein Großteil der Soldaten förmlich in Lumpen gehüllt
erscheint, ohne daß äußerster Versuch gemacht wird, solch traurigem, Disziplin,
Ordnung und Hygiene schädigenden Zustand zu steuern."
April: Der römische „Kongreß der in Österreich-Ungarn unterdrückten Völker"
wird am 9. auf dem Kapitol unter dem Schutze Italiens eröffnet. Die vereinigten
Emigranten der Italiener, Polen, Rumänen, Tschechen und Südslawen geben „den
Willen kund, sich in völlig unabhängige Nationalstaaten zusammenzuschließen oder
einzugliedern und zu diesem Zwecke den Befreiungskampf gegen die österreichisch¬
ungarische Monarchie gemeinsam zu führen."
Mai: Die „Société secrète jugoslave" nimmt im engsten Kontakt mit der eng*
lischen Gesandtschaft in Bern und Helfershelfern in der Monarchie die Revolution
für Spätherbst 1918 in Aussicht. Die 3. italienische Armee gibt Richtlinien zur Förden
rung tschechischer Propaganda bei den k. u. k, Truppen aus.
Juni: Durch all die Monate umfangreiche Streiks, oft gegen den Willen der
Führer. Sie werden mit Mühe und nach teilweiser Erfüllung der Arbeiterforderungen
(Verpflegs- und Bekleidungsbesserung) behoben und setzen besonders bei den Ver¬
kehr sanstalten die Gesamtleistungen herab. Nur mehr die Hälfte der Hochöfen wird
mit Brennstoff versehen. Generaloberst Arz an General Ludendorff: „Österreich hat
nur für zwei Tage Vorrat. Die Armee statt eines Minimums von 167 nur 126 Wagen.
Bitte um sofortige Aushilfe", die von den Deutschen auch gewährt wird. Gleichzeitig
beginnt die Piaveschlacht zu toben, in Wien stehen 40.000 Arbeiter in 43 Betrieben
wegen Kürzung der Brotration auf die Hälfte im Ausstand. In Budapest Bildung eines
Arbeiterrates, in Ungarn große Ausstände, der Arbeiterrat wird verhaftet. Am 30. sollte
das erste tschechische, aus Kolonisten, Emigranten, Überläufern und Gefangenen ge-