Volltext: Deutsche Offensive aus Ostpreussen über den Narew auf Siedlec (Ergänzungsheft 1)

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Schäfer 
zugehen, bis deutsche Kräfte zur Wiederaufnahme der Offensive un¬ 
mittelbar neben ihm einträfen. Auch in diesem Falle läßt sich heute nicht 
mit völliger Sicherheit sagen, ob der nach der Lage in Ostpreußen da¬ 
mals mögliche und von Hindenburg und Ludendorff nunmehr auch be¬ 
absichtigte Stoß auf Siedlec jetzt noch zurecht gekommen wäre. Lage 
und Entschlüsse der Russen scheinen allerdings dafür zu sprechen, daß 
dadurch noch Großes hätte erreicht werden können. Ob der Zustand des 
öst.-ung. Heeres ein Halten der Sanlinie tatsächlich nicht mehr gestattete, 
vermögen wir nicht zu entscheiden. 
Der unglückliche Ausgang des öst.-ung. Anfangsfeldzuges gegen 
Rußland hat die Kritik aufs Feld gerufen, und sie meint, die Zusammen¬ 
arbeit der beiden Verbündeten hätte besser sein können. Hätte es sich 
nicht um „Verbündete", sondern um Teile ein und desselben Heeres 
unter einem gemeinsamen Führer gehandelt, so wäre allerdings wohl 
manche Enttäuschung und Reibung ausgeblieben. Bezweifeln aber muß 
man, daß sich zwischen den Armeen verschiedener gleichberechtigter 
verbündeter Staaten volle Einheitlichkeit hätte erreichen lassen, selbst 
wenn ihre Truppen einem gemeinsamen Führer unterstellt gewesen 
wären, denn auch dessen Gewalt hätte nur eine beschränkte sein können, 
abhängig von den nicht immer gleichgerichteten Belangen seiner beiden 
Auftraggeber. 
Voraussetzung für einwandfreie Zusammenarbeit ist vollstes gegen¬ 
seitiges Vertrauen. Das aber wird zwischen zwei selbständigen Staaten 
und ihren militärischen Führern kaum je so groß sein, daß jeder mit 
ganz offenen Karten spielt. So darf es nicht wunder nehmen, daß sich 
auch im Verkehr der beiden Generalstabschefs eine Grenze zeigt. Weder 
Moltke noch Conrad sagten immer das Letzte, was sie dachten. Es gab 
Empfindlichkeiten, die zu schonen waren, es ,gab Wünsche, die man nicht 
auszusprechen, und Bitten, die man nicht abzuschlagen wagte. Im großen 
und ganzen ist aber doch Vertrauen und Offenheit der Grundzug des 
Verkehrs der beiden Generalstabschefs gewesen. Jeder von beiden hat 
das Beste gewollt. Wäre der deutschen Führung der erhoffte Erfolg im 
Westen beschieden gewesen, so hätte auch das Mißgeschick des öst.-ung. 
Heeres niemals die schweren Folgen haben können, die es für dieses 
Heer gehabt hat. Der alte Schlieffen hatte recht: Auch das Schicksal 
Österreich-Ungarns wurde an der Seine, nicht am Bug entschieden. Das 
hätten beide Generalstabschefs vielleicht noch mehr berücksichtigen 
sollen, als sie getan haben.
	        
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