Der große Kriegsrat zu Versailles
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begegnen zu können, neben der Abwehr auch Angriffshiandlungen an ge¬
eigneten Stellen in Aussicht1). Örtliche, gelungene Gegenschläge waren
erforderlich, um das Selbstvertrauen bei den alliierten Streitern zu heben
und das Kraftgefühl für'den Bewegungskrieg wieder zu erwecken. Denn
der Generalissimus, der seit Jänner eine künftige, große Offensive im
Auge hatte (S. 28), hoffte, in etwa zwei Monaten — bis dahin war auf
ausgiebige Mitwirkung der Amerikaner zu reclinen — breiter angelegte
Angriffe eröffnen zu können. Aus diesem Gedankengang heraus wurde
am 27. Juni auch der italienische Heerführer, Gen. Diaz, aufgefordert,
die Angriffspläne, die Mitte des Monats wegen der vom Gegner begon¬
nenen Schlacht zurückgestellt worden waren, zu verwirklichen und den
Vorteil auszunützen, den der gescheiterte Durchbruchsversuch Österreich-
Ungarns darbot. Die Italiener sollten sich vorläufig günstige Ausgangs¬
stellungen schaffen, bis die Entente „wahrscheinlich" im September an
allein Fronten zur Offensive übergehen werde2).
Noch während der Generalissimus den nächsten Waffengang vor¬
bereitete, trat anfangs Juli in Versailles der Große Kriegsrat zusammen,
um die Lage auf allen Kriegstheatern durchzusprechen. Für den Haupt-
kampfplatz auf französischer Erde genehmigte die Versammlung den
von Foch im Vormonat entworfenen Plan, wonach Präsident Wilson auf¬
gefordert wurde, bis. zum 1. August 1919 hundert Divisionen nach Europa
zu bringen. So viel hielt man für notwendig, um. mit unbedingter "Über¬
macht zur Entscheidung antreten zu können3). Auch der britische Rü-
st'ungsminister Churchill stellte sich darauf ein, fürs nächste Jahr das
Höchstausmiaß an Kampfmitteln zu liefern4). Die führenden Häupter der
Entente erörterten ferner die Aussichten 'einer Offensive ihres Orient¬
heeres in Mazedonien5). Auch die durch die Entwicklung an der Murman-
küste und in Sibirien aufgeworfenen Fragen einer verstärkten Intervention
wurden erörtert, wobei es vor allem wichtig war, den Beistand ameri¬
kanischer Truppen zu erwirken6).
Unmittelbar vor diesem Kriegsrate; am 30. Juni, hatte sich in Paris .
1) Foch, II, 123 ff. — Franz. Gstb. W., VI, 2. Teil, 405.
2) Foch, II, 137. — Franz. Gstb. W., VI, 2. Teil, 362 ff., 405 ff.
3) F o c h, II, 128 ff. — Lloyd-George, VI, 3060, erklärt das „übertriebene"
Verlangen aus dem Wunsche, auf fünfzig Divisionen sicher zählen zu können.
4) Churchill, II, 183 ff.
5) Tournés, 225 ff. — Franz. Gstb. W., VII., I.Teil, 3.
6) Foch, II, 132. — Lloyd-George, War memoirs, VI, 3192. — Franz.
Gstb. W., VII, 1. Teil, 39.
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