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Die Herbstoffensive gegen Italien
Aus all diesen Gründen und unter Hinweis auf die durch Aussagen
von Überläufern begründete Möglichkeit eines gegnerischen Angriffes
erließ das italienische Höchstkonimando am 18. September an die 2.
und die 3. Armee den Befehl, alle Angriffsvorbereitungen einzustellen
und sich für eine „bis zum äußersten" gehende Abwehr einzurichten1).
Wohl auch hiemit im Zusammenhange plante Cadorna, am mittleren
Tagliamento eine Reservearmee von 200 Bataillonen zu bilden, um all-
fälligen Angriffen von Tirol oder vom Küstenlande her kräftig ent¬
gegentreten zu können. Die hiefür am 3. Oktober erlassenen Befehle
kamen aber wegen des Widerstrebens der Armee- und Korpskomman¬
danten, Truppen abzugeben, nicht zur Ausführung2).
Den Entschluß, nunmehr in die Abwehr zu fallen, teilte Cadorna
am 21. September den beiden Westmächten mit. Er fühlte sich auch
ihnen gegenüber zur Einstellung der Offensive berechtigt, da er der
Meinung war, die Ende Juli in Paris eingegangene Verpflichtung, eine
Offensive großen Stils zu führen, mit der elften Schlacht voll eingelöst
zu haben. Cadorna begründete seinen Entschluß, in die Verteidigung
zurückzufallen, damit, daß der Gegner am Isonzo Verstärkungen er¬
halten habe, und daß sich die Verluste der Italiener seit Anfangs Mai
— die Kranken inbegriffen — auf 720.000 Mann beliefen3). Die Preis¬
gabe des Angriffsgedankens verstimmte aber die Verbündeten Italiens,
die an eine Offensive der Mittelmächte im Südwesten nicht glauben
wollten. Sie zogen daher einen Großteil der beim italienischen Heer
befindlichen schweren Batterien (200 Geschütze) ab.
Inzwischen begannen Nachrichten über die Mitte September erfolgte
Sperrung der österreichischen Grenze gegen die Schweiz, über das Er¬
scheinen einer bayrischen Division in Südtirol und über Truppenver¬
schiebungen von Trient weg die italienische Heeresleitung schwer zu
beunruhigen. Cadorna überprüfte hierauf selbst die Abwehrmaßnahmen
an der Tiroler Front sowie den Straßen- und Befestigungsbau auf dem
Gebirgsstock der Grappa. Dann wandte Cadorna sein Augenmerk der
Isonzofront zu, an der wegen der zufließenden öst.-ung. und deutschen
Verstärkungen mit örtlichen Angriffen gerechnet werden mußte. Ins¬
besondere galt Cadornas Interesse der Hochfläche von Bainsizza.
Hier war der Führer der 2. Armee, Gen. Capello, den am 10. Ok-
!) Cadorna. La guerra, Neudruck 1934, 420 f.
2) Relazione della commissione d'inchiesta. Dall'Isonzo al Piave — weiterhin
als „Bericht der Untersuchungskommission" bezeichnet — (Rom 1919), I, 30.
3) Robertso n, 442.