Innere Schwierigkeiten Italiens
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Deckung dieses ungeheuren Abganges verfügte man über zwei Millionen
Mann, die zur Zeit in den Ersatztruppenteilen ausgebildet wurden. Im
Frühjahr wollte man auch die Neunzehnjährigen ausheben. Mit diesen
Ersätzen und mit dem monatlichen Zugang an wiedergenesenen Kran¬
ken und Verwundeten hoffte die russische Heeresleitung, den Abgang
decken zu können.
Allerdings liefen um diese Zeit in den Kreisen der Duma und der
russischen Gesellschaft Gerüchte um, daß sich etwa zwei Millionen
fahnenflüchtiger Soldaten daheim in den Dörfern versteckt hielten1).
Auch flackerten hier und dort Aufstände und Streiks auf, und Mit¬
glieder der Petersburger Konferenz hatten den Eindruck gewonnen,
daß Rußland zu einer entscheidenden Kraftäußerung überhaupt nicht
mehr fähig sein werde. Aber die leitenden politischen und militärischen
Stellen schienen noch nicht zu ahnen, daß im Zarenreiche der Umsturz
knapp vor der Türe stehe.
Die militärische Lage Italiens
In Italien sah man Ende 1916 dem neuen Jahre mit Sorge ent¬
gegen. Die großen Opfer, die der Krieg bis jetzt gefordert hatte, stan¬
den nicht im Einklang mit den bescheidenen Erfolgen. Bloß in Görz
hatten die italienischein Truppen die Trikolore aufzupflanzen vermocht.
Die Städte Triest und Trient, die Operationsziele des italienischen Hee¬
res, lagen noch immer hinter der öst.-ung. Front, und die Bindungen,
die man 1915 in London eingegangen war, wurden von einem Teil des
Volkes, namentlich von einer Gruppe der Sozialisten, mitunter schon
als drückende Fessel empfunden.
So war die Stimmung im apenninischen Königreich gedrückt. Gegen
Ende 1916 kam es in verschiedenen Städten Italiens zu Kundgebungen
gegen den Krieg. Vor allem waren es die Sozialisten, die sich bedenken¬
los für den Friedensschluß einsetzten, insbesondere nach Bekanntwerden
des Friedensangebotes der Mittelmächte. In der Kammer kam es zu
offenen Angriffen gegen die Kriegsparteien. „Dieser andauernde Feld-
zug gegen den Krieg, dem dile Regierung nicht zu steuern vermochte,
war Gift für die moralischen Energien und übte seine schädliche Wir¬
kung auf das Heer2)." Im Gegensatz hiezu wurde die italienische Kriegs¬
leitung nimmer müde, die üblen Geister zu bannen, die Stimmung im
1) Gurko, 117.
2) G e 1 o s o, Le battaglie di Gorizia e della Bainsizza (Rom 1929), 120.