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Von Gorlice bis Lemberg
Die Flieger hatten während des ganzen Tages hinter der russischen
Front lange Heeressäulen im Ostmarsch gesehen. Die von Gródek nach
Lemberg und von Janów nach Zolkiew führenden Straßen sowie der
ganze Raum nächst den, beiden letztgenannten Städten waren von Truppen
und Trains erfüllt; bei Lemberg konnte lebhafter Zugsverkehr festge¬
stellt werden. Abends wurden jedoch auch in vielen nahe der Feind¬
stellung gelegenen Orten starker Truppenbelag, ja sogar in westlicher
Richtung marschierende Kolonnen beobachtet.
Wie fast immer, lieferte der russische Funkdienst den Verbündeten
manchen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Maßnahmen und Ab¬
sichten des Feindes. Die Bevölkerung des wiedereroberten Landes konnte
zwischen den rauchenden Trümmern ihrer verwüsteten Wohnstätten nur
von den Bemühungen des fliehenden Feindes berichten, das geräumte
Gebiet nach Möglichkeit zu zerstören. Von der großen Stellung wußte sie
bloß zu erzählen, daß monatelang an ihr gearbeitet worden war. Auf¬
schlußreicher ergänzten die Herkunft der Gefangenen und ihre Aussagen
die anderen Nachrichtenquellen. Das VI. Korps allein hatte Gefangene
von nicht weniger als sechs russischen Divisionen eingebracht. Sie gaben
an, daß alles in eiligem Rückzüge sei, und daß die Artillerie an Munition
Mangel habe. Aber die Verfolgungskämpfe am 17. deuteten doch wieder
auf einen ernsten Widerstandswillen hin. Demnach schien es am Abend
dieses Tages unsicher, welche Gegenwehr der Russe in der erreichten
Stellung leisten würde. Das Oberkmdo. Mackensen entschloß sich daherr
für den 18. Juni seinen Korps den Angriff nach Maßgabe ihrer erreichten
Bereitschaft freizugeben. Vielleicht brachte rasches Zufassen in diesem,
oder jenem Teile des Schlachtfeldes den entscheidenden Erfolg.
Die Korps konnten von der ihnen zugestandenen Freiheit keinen Ge¬
brauch machen; ein neuer, einheitlicher, planmäßiger Angriff mit gründ¬
licher Artillerievorbereitung erwies sich zur Bezwingung auch dieser letzten
großen Stellung vor Lemberg als nötig; doch sollte den Vorbereitungen
nur ein Tag, der 18. Juni, gewidmet sein. Während die Infanterie an.
diesem Tage überall das Vorgelände vom Feinde säuberte, sein Stellungs¬
netz sowie günstige Vorrückungslinien und Sammelräume erkundete und
ihre Linien vorschob, soweit es ging, wurde hinten rastlos gearbeitet. Die
Feldartillerie war schon seit dem 17. in Stellung und begann sich einzu¬
schießen. Jetzt galt es, auch der schweren Artillerie vorzuhelfen, die auf
den sandigen Wegen nicht so schnell folgen konnte. Für die 30.5 cm-
Mörser des VI. Korps fanden sich in dessen Bereich keine geeigneten
Wege. Man wies sie dem XXII. RKorps zu.