Kusmaneks Telegramm an den Kaiser
215
Gdl. Kusmanek berichtete hierüber nach Schönbrunn :
Eure Majestät!
Im Namen der Besatzung von Przemysl für die hochbeglückenden huldvollsten
Worte Eurer Majestät tiefbewegt dankend, melde ich, daß heute die Besatzung von
Przemysl den Durchbruchsversuch gewagt hat. Ich bin aber tiefunglücklich, Eurer
Majestät gleichzeitig treugehorsamst berichten zu müssen, daß dieser Versuch nicht ge¬
lungen ist. In siebenstündigem verzweifelten Kampfe haben die Truppen bei widrigem
Schneesturm mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft den starken Feind zu durchbrechen
versucht. Nach großen Verlusten, bei welchen die stets so tapfere k. ung. 23. Land-
wehrinfanterietruppendivision, soweit sich dies bis jetzt überblicken läßt, zur Hälfte
aufgerieben wurde und auch die anderen Truppen schwer gelitten haben, mußte wieder
hinter den Gürtel der Festung zurückgegangen werden. Da bei der dermaligen völligen
Erschöpfung der Mannschaft ein nochmaliger Durchbruchsversuch ganz aussichtslos wäre,
will ich die Festung nunmehr bis an die Grenze der Möglichkeit halten, um so durch
weiteres Binden der hier befindlichen feindlichen Kräfte dem Zweck der Feldarmeen
noch solange als möglich zu nützen.
Treu unserem Eide und in grenzenloser Liebe und Ergebenheit für Eure Majestät
werden wir bis zum Ende ausharren. Kusmanek Gdl.
Nunmehr wurde alles darangesetzt, um in letzter Stunde einer Er¬
stürmung des Platzes zu begegnen. Unausbleiblich war aber das Ende
herangerückt. Am 20. und 21. wurden russische Angriffe gegen die Nord¬
west-, die Nord- und die Ostfront tapfer abgewehrt. Dann trat am 21.
der Verteidigungsrat zusammen und beschloß im Sinne der schon vor
vierundzwanzig Stunden eingelangten Billigung durch die Heeresleitung,
die Festung am nächsten Tage zu übergeben. Die physische Kraft der
Besatzung war durch den Hunger aufgezehrt und die noch bis zum 24.
reichende Reserveverpflegung mußte für jene Zeitspanne aufgespart
bleiben, die bis zu den weiteren Verfügungen des Feindes über das
Schicksal der Besatzung verstreichen mochte1).
Am 19. war das Papiergeld der Festung (600.000 bis 700.000 K)
verbrannt worden; am 20. und 21. fanden noch größere Pferdeschlach¬
tungen statt. Die Bahnhofseinrichtungen und die Fahrbetriebsmittel so¬
wie überhaupt alle für den Feind verwertbaren Kriegsgeräte wurden zer¬
stört oder unbrauchbar gemacht. An den beiden letztbezeichneten Tagen
starteten die Offiziere der Luftfahrtruppe in Freiballons, die jedoch alle
auf Feindesgebiet verschlagen wurden.
x) Als zehn Jahre früher die Russen die Festung Port Arthur den Japanern
übergaben, befanden sich dort noch an Verpflegsvorräten in Tonnen: Korn 700, Weizen¬
mehl 150, Maismehl 40, Hülsenfrüchte 700, Gerste 2, Reis 1, Pökelfleisch 40, Zwieback
60, Zucker 20 und Pferdefutter für zwei Monate. Außerdem lagerten in der Festung
noch die Vorräte der Marine (nach Beilage 19, Bd. III der Einzelschriften über den
russisch-japanischen Krieg, Wien 1909).