Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Offensive 
zweiten Kampftages werde ich mit meinen Unteroffizieren nach vorn beordert. 
Der durch den besonders hohen Offiziersverlust recht gebrochene Regiments¬ 
kommandeur heißt mich die Zähne zusammenbeißen und nach vorn gehen. Der 
Bataillonskommandeur, bei dem ich mich melden will, ist soeben verwundet. Als 
ich mich bei seinem Vertreter melde und wir gerade darüber beraten, wie das 
Nachvorngelangen zur vordersten Linie am hellichten Tage unter den Augen 
des Gegners am besten zu bewerkstelligen sei, trifft ein neuer Schlag das 
Regiment und enthebt uns der Beantwortung der eben besprochenen Frage. 
Der Führerausfall hat ja nicht allein die Infanterie stark betroffen; was sich 
jetzt plötzlich in so grauenhafter Weise zeigt, ist der Ausfall der Artillerie- 
beobachter. Das Feuer kann so nicht mehr von vorn gelenkt werden, sondern nur 
noch von den Batterien selber — gewissermaßen „ä la carte”! Und so müßen wir 
denn mit eigenen Augen vom Bataillonsgefechtsstand auf der Höhe aus sehen, 
wie die Granaten der eigenen schweren Artillerie — zumal überkreuzend die der 
Nachbardivision — in die eigenen Reihen einschlagen. Vergeblich rasseln die 
Telephone — verzweifelt laufen Melder und Offiziere zu den Artilleriestäben — 
die deutsche Feuerwalze bleibt auf der deutschen Stellung liegen, die Artillerie¬ 
stäbe schütteln nur ungläubig die Köpfe: es sei das englische Feuer, das auf 
der deutschen Linie liege! — bis das Verhängnis da ist. Die vorderste Kampf- 
linie nach einem Tage grandiosen Vorstürmens kurz vor dem Ziele: der zweiten 
englischen Hauptstellung, durch Gewehrgranaten gemetzelt, hält diesem zweiten 
furchtbaren Schlage, von der eigenen Artillerie zerstampft zu werden, moralisch 
nicht mehr stand und weicht am hellichten Tage über ebenes Feld unter den 
Augen des nahen Feindes, der in den Reihen der Zurückweichenden mit Schrap¬ 
nells und Maschinengewehren wütet. So langen die teils völlig Verstörten, teils 
Rasenden, die die Artilleristen lynchen wollen, auf der Höhe des Vataillons- 
gefechtsstandes an. Wir — das heißt: das wenige, was noch an Führern und be¬ 
sonnenen Unterführern vorhanden ist — stellen uns mit vorgehaltener Pistole oder 
erhobenem Gewehr entgegen und bringen durch brüllende Zurufe im englischen 
Schrapnellfeuer die Rasenden zur Besinnung und zum Stillstand. Cs ist Mittag 
geworden. Die erschöpfte, führerlose Truppe sucht in Fuchslöchern, Grabenstücken 
und Hohlwegen Deckung und erlangt ihre Fassung, ihr altes Gleichgewicht 
wieder, zumal die englische Artillerie bei der noch immer gewaltigen Uber- 
legenheit unserer Batterien bald wieder schweigsamer geworden. Am Spät- 
nachmittags werden von den neuen und den wenigen verbliebenen alten Führern 
die Kompanien wieder nach vorn geführt. Der Abend und die Nacht verlaufen 
glimpflich, und am nächsten Vormittage — dem dritten Kampftage — ist die 
Truppe soweit wieder sie selber, daß die Einnahme der englischen Reserve- 
stellungen glückt; Veaumetz und Lebucquiöre fallen in unsere Hände, und mit 
fünfundzwanzig Mann — aus den verschiedensten Regimentern zusammen- 
65
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.