Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
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gehabt, bei verstärkter Reserve dagegen mehr. Der Umstand sollte künftig noch 
mehr bedacht werden. — Um sieben Uhr morgens, am 21. März 1918, brach wie 
körniger Hagel das Ungewitter unserer unerhört massierten Artillerien aller 
Kaliber auf den Tommy los. Die leichte Feldartillerie hatte gar ihre Geschütze 
in den Nächten vor Offenfivbeginn — vom Feinde unbemerkt — vor der 
vordersten Infanterielinie eingebaut und legte nun mit den ferner wirkenden 
Batterien gemeinsam eine langsam vorwärtskriechende Feuerwalze auf die eng- 
tischen Linien und Artilleriestellungen, eine Feuerwalze, hinter der dann die In¬ 
fanterie fast sicher wie hinter einer Stahlwand vorrücken konnte, ohne daß von 
englischer Seite zunächst auch nur ein Schuß fiel. Denn die paar Geschütze, die 
paar Maschinengewehre, die da noch wagen wollten, ihre Stimmen zu erheben, 
waren im Augenblick zermalmt. Ein paar bedrohliche Minuten entstanden für 
die Angreifer, als der Wind sich drehte und die Gasschwaden aus die deutsche 
Stellung zurücktrieb und uns, wie auch besonders die feuernden Artillerien, be¬ 
drohte, so daß ich dreißigmal hintereinander niesen und wir alle die Gasmasken 
aufsetzen mußten. Doch der Schlachtengott war uns diesmal — noch! — hold 
und wendete den Wind wieder feindzu. Mit noch größerem Rechte als die alten 
Römer können wir im heutigen Gaskriege die Schlachtorte benevent oder male- 
vent — je nach dem günstigen oder ungünstigen Winde benennen. Diesmal war 
benevent, und das Schicksal lächelt uns noch einmal. Der Infanterieangriff 
ging erwartungsgemäß vonstatten. Der Vorstoß glückte mühelos und kilometer- 
tief. Als aber am Abend die sehr starke zweite Verteidigungsstellung des Tommy 
erreicht war, stockte er bedenklich. Entfernter stehende englische Batterien legten 
ihren Riegel vor die Stellung, aus der die zahlreichen Lewisgewehre unter den 
Unseren aufzuräumen begannen. Hier auch erst — vor der zweiten Reservestellung 
des Tommy — am Abend der so glücklich begonnenen Rresenschlacht entstanden 
die ersten, aber dafür auch gleich sehr schweren Verluste. Hier fielen vor allem 
— bei dem Bestreben, die allmählich ermüdende Truppe anzufeuern und zu 
neuem Sturm vorwärts zu bewegen, erschreckend viele Führer. Ein Mangel 
machte sich nun empfindlich bemerkbar — es war — wie immer! — wieder 
einmal ein Materialmangel. Die Angreifer, die sich bis auf hundert Meter an 
die englische Linie herangearbeitet hatten und hier durch die Stahlwand des 
englischen Sperrfeuers und den Hagel des englischen Maschinengewehrfeuers am 
noch weiteren Vorgehen verhindert waren, also zum Stilliegen sich verurteilt 
sahen, wurden nun vom Tommy mit Gewehrgranaten aus der Reservestellung 
heraus beschoffen, ohne auch nur die geringste Gegenmaßnahme treffen zu können, 
da zum Handgranatenwurf die Entfernung noch um mehr als das Doppelte zu 
groß war, wir über Gewehrgranaten aber nicht verfügten. Die Gewehrgranaten 
wüteten in den Reihen der tapferen Angreifer, und nur einzelnen Teilen glückte 
der rettende Vor- und Einbruch in die feindliche Stellung. — Am Morgen des 
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