Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
Kompanie hat der schneidigste Unteroffizier übernommen, und die älteren Käme- 
raden fügen sich gern seiner Umsicht und Vravour. Auch diesen vortrefflichen 
Soldaten belohnt später eines der ganz wenigen Militärverdienstkreuze, die das 
Regiment im Laufe des Krieges erhält. Der Tag vergeht unter gelegentlichen 
Handgranatenwürfen, deren Zweck weniger ist, dem Gegner nun besonderen 
Schaden zuzufügen, als vielmehr sich Bewegung zu verschaffen und der bitteren 
Kälte zu erwehren. Denn es ist keine Kleinigkeit, in flachem Graben dreißig bis 
fünfzig Meter vom Feinde dazuliegen und sich nicht rühren zu dürfen. So gibt 
es denn auch immer wieder Unbeherrschte genug — auf beiden Seiten —, die 
sich Bewegung machen müssen, und die die eine barmherzige Kugel den tausend 
unbarmherzigen Stichen und Bissen der nagenden Kälte vorziehen. Rot macht 
barmherzig, und so entsteht allmählich ein schweigendes Übereinkommen, hüben 
und drüben, auf vereinzelte vor Kälte herumtanzende Gestalten nicht gleich 
zu schießen, sondern stillschweigend eine gewisse Duldung zu üben und zu — 
erwarten. Und nur, wenn die Bewegungen gar zu heftig, gar zu zahlreich werden, 
funkt einmal ein Maschinengewehr dazwischen. So gibt es über Tag genügend 
Tote und Verwundete. 
Auch diesen Tag endet eine Nacht. Mit ihr nimmt die Kälte zu und die Furcht 
zugleich vor feindlichen Überfällen. Die Kompanien im Walde entschließen sich, 
ihre Front um etwa weitere fünfzig Meter zurückzunehmen, um sich einmal 
bewegen zu können, um außer Handgranatenwurfweite zu ruhen. Die Feldküchen 
find bis an den Waldrand herangeführt. Essenträger können also zurückschleichen 
und warmes Essen, Brot und den ersehnten Schnaps holen, mit dem sie nach 
Indianerart wieder nach vorn schleichen. Welche Genüsse auf Erden kommen 
diesem heißen Dörrgemüse — „Drahtverhau" genannt —, diesem trockenen Brote 
gleich, von dem Schnaps gar zu schweigen! Danach kann man vielleicht sogar 
schlafen im eingeschneiten Fuchsloch, in dem man zu dreien oder vieren liegt, 
wechselschichtig, immer wieder ein anderer mit den Beinen oben liegend und die 
Beine und Leiber seiner Kameraden vor der Kälte schützend. Die Nachtruhe der 
Kompanien wird von starken Feldwachen im vorderen Graben gesichert, und 
diese alte Stellung beziehen dann die Kompanien auch wieder in der Morgen¬ 
dämmerung. Die Nacht ist ruhig verlaufen. And wieder kommt und vergeht 
ein Tag im Ausharren, im Warten, im Frieren, im Stilliegen, im gelegentlichen 
Sichlustmachen durch Handgranatenwürfe. Ab und zu kommt, vom entfernter 
liegenden Zuge entsendet, auf dem Bauche ein Mann angekrochen; der Zugführer 
will wissen, ob der Leutnant noch da ist. Ja, der ist da und in einen Roman 
vertieft, indes der Korporal an seiner Seite sich mit dem Tommy Handgranaten 
zuwirft, die aber alle vor dem Ziele landen. Der vom Zugführer Entsendete 
wird vom Leutnant angeherrscht, er solle ihn gefälligst in Ruhe lassen und nicht 
in der Nachmittagslektüre stören, und der Zugführer möchte ihn-(mit 
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