Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
müffen — unter den Augen des Tommy — gewissermaßen auf dem Präsentier- 
teller. Und so wird es denn auch. Im Laufe des Vormittags werden wir durch 
Moorslede hindurch immer weiter nach vorn geschoben. Die Kompanien lagern 
deckungslos in Chauffeegräben — es scheint unfaßlich, daß die Verluste nicht 
größer find. Vorn wogt der Kampf um Passchendaelen hin und her. Am Nach¬ 
mittage müffen wir wirklich nach vorn — die alten Stellungen besetzen, weil von 
unserer Ablösungstruppe nicht mehr viel vorhanden sein soll. Cs gibt da keine 
Verbindungsgräben nach vorn, auch keine ehemaligen, es gibt nur ein Zähne- 
zusammenbeißen und unter den Augen des Feindes ein Sichhindurchschlängeln der 
Kompanien im Gänsemarsch durch die unter Feuer liegenden Straßen Moors- 
ledes. Da gibt es kein Ausweichen nach rechts oder links, denn rechts und links 
ist die Welt mit Häusern verbaut, in die Granaten fauchend einschlagen, aus 
denen Ziegelsteine herniederpraffeln. Nur erst offenes Feld! Nun am Dorf¬ 
ausgang — an der so gefürchteten Brauerei vorbei, die unter dem Feuer der 
schweren Geschütze liegt und um die sich die Toten häufen, denn hier muß alles 
vorbei, und der Tommy kennt die Entfernungen auf das genaueste und belegt 
Dorfausgang und Brauerei nur mit Treffern. Nun auf freiem Felde — die An¬ 
strengungen dieses Vorwärtstasiens in diesem Gelände, in dem ein Trichter in 
den andern übergreift wie Glieder einer Kette, sind unmenschlich — dazu das 
dauernde Sichhinwerfen vor allzu nahen Granaten; die etwas ferneren ignoriert 
man schon völlig — der Mensch ist ganz Ohr — er hört der nahenden Granate 
schon an, wie nahe sie einschlagen wird, und sucht Deckung oder geht ruhig weiter. 
Die alten Instinkte und Ahnungen find beim Soldaten wieder wach geworden 
wie beim Wilden und wie beim Tiere der Wildnis. Vorahnendes Gefühl, Auge 
und Ohr find aufs äußerste geschärft. Alle Müdigkeit ist verflogen. Am Spät¬ 
nachmittage find wir bei der alten Stellung angelangt. Ich ordne an, daß die 
alten Fuchslöcher zu besetzen sind. Sofort wird mir zurückgemeldet, daß sie aus¬ 
nahmslos eingestampft find-mit „Inhalt"! Der Tommy hat also diesmal 
ganze Arbeit verrichtet und die sonst gottlob doch seltenen Zufallstreffer in bereits 
vorhandene Trichter diesmal mit unheimlicher Präzision bewerkstelligt — gewiß 
mit Hilfe seiner Fliegerheere, die am heutigen klaren Tage grausam gute Sicht 
gehabt hatten. In diesen jetzt eingestampften Fuchslöchern hatten wir noch heute 
früh gelegen, bis uns um sechs Ahr die — bereits um vier erwartete — Ablösung 
daraus erlöste. Dieses Mal waren sie für uns an unserer Statt gefallen, 
wie heute morgen — wir für sie. Wir werfen uns in die nächsten Trichter, denn 
ein unangenehmes Surren pfeift uns um die Ohren — englisches Maschinen¬ 
gewehrfeuer, das wir die ganzen Tage zuvor nicht zu schmecken bekommen hatten 
und das auch sogleich — da unerwartet — blutige Verluste erzeugt und mir den 
liebsten Kameraden von der Seite reißt. Ich laffe den durch Oberschenkelschuß 
schwer Getroffenen in der Dämmerung nach hinten schaffen; unterwegs wird 
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