Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Trommelfeuer 
Uhr morgens sollen wir abgelöst werden. Von Mitternacht ab ist an Schlaf 
nicht mehr zu denken. Alles liegt bereit zum Rückmarsch. Die Viertelstunden 
werden gezählt. Von drei Uhr ab wird schon Ausschau gehalten. Trotz des Ar¬ 
tilleriestörungsfeuers, das seinen Charakter des Trommelns für wenige Stunden 
gemildert hat, läuft alles erregt auf Deckung herum. Um einhalb, um dreiviertel 
vier Uhr ist noch nichts von der Ablösung zu spüren. Um vier Uhr auch nicht. Um 
einhalb fünf, um fünf Uhr auch nicht. Um einhalb sechs Uhr auch nicht. Die 
Nerven sind am Zerreißen. Um sechs Uhr ist die Ablösung da. Die letzte halbe 
Stunde noch ist uns teuer zu stehen gekommen. Eine Granate hat drei in ihrem 
Fuchsloch Schlafende verschüttet. Für zwei nahm der Schlaf so kein Ende mehr, 
er wurde nur von einem kurzen heftigen Angsttraume gestört, ehe er wieder ruhig, 
ganz ruhig wurde. Die Verschütteten wurden sofort ausgegraben, ungeachtet der 
einschlagenden Granaten. Nun liegen sie da — blau. Einen gelingt es ins 
Leben zurückzurufen — einen alten Ersatzreservisten und Familienvater — er 
weint stundenlang leise vor sich hin — auch nachher auf dem Rückmarsch noch, 
hört und sieht nichts und weiß nicht, was um ihn vorgeht, was mit ihm vor¬ 
gegangen. Die beiden anderen Jungen gelingt es nicht mehr zu wecken, den Vize¬ 
feldwebel und Offizieraspiranten, gegen den ich noch gestern vierzig Pfennige im 
Skat verloren habe; den jungen Unteroffizier, der mir vor Tagen stolz das Bild 
seiner Braut gezeigt; er war gerade erst vom Urlaub gekommen und hatte sich 
verlobt. Was haben sie nun? Ruhe! — weiter nichts! — aber auch das ist viel 
in solchen Zeiten — und doch will sie keiner haben. Was nutzt es, daß wir die 
Ablösung mit Vorwürfen empfangen. Wären sie zeitig gekommen, hätten sie die 
Toten jetzt, und eine andere Mutter, eine andere Braut hätten zu weinen — es 
ist gehupft wie gesprungen, und einer steht ja hier für den anderen, einer fällt 
ja hier für den anderen. Bei zunehmender Helligkeit, zunehmendem Feuer, mar¬ 
schieren wir durch Moorslede hindurch bis zum Hohlwege. Hier lagern wir, von 
der feindlichen Artillerie nur um ein weniges mehr verschont als dort vorn, in 
Erwartung des Kommenden. Ich halte es vor Kälte nicht mehr aus und setze mich 
in einem Bunker vor den prasselnden Cisenofen und bibbere und schüttele mich 
unaufhörlich. Ist es denn so kalt? — Die Sonne ist doch schon heraus und das 
Zeug auf dem Leibe einigermaßen trocken und warm, und hier im Bunker ist es 
doch wirklich mollig. Aber das Schütteln und Frösteln läßt nicht nach. Cs ist 
nicht die Kälte — es find die Nerven — an der Grenze ihrer Spannkraft. Am 
sieben Uhr steigen drei Leuchtkugeln beim Tommy hoch: eine rote, eine grüne 
und eine weiße. Cs geht also los! — Großkampftag. Schlagartig vermehrt sich 
das Artilleriefeuer und steigert sich zum Trommelwirbel nun auch sogleich auf die 
Reservestellungen. So also sieht die erhoffte Ablösung und Erholung aus! Erste 
Reserve der vordersten Linie. Das bedeutet, daß wir womöglich am hellichten 
Tage durch Moorslede hindurch über freies Trichtergelände deckungslos nach vorn 
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