Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
Am nächsten Tage, noch vor Anbruch der Morgendämmerung, klingelt mein 
Telephon am Bett: „Morgenmeldung der Flugplatzwache: Wolkenhöhe fünf¬ 
hundert Meter, von der Front Trommelfeuer!" Ich gebe zurück: „Flugzeug fertig- 
machen, Flugzeugführer benachrichtigen!" und ziehe mich an. Dann gehe ich zum 
Flugplatz, das Frühstück wird durch eine Zigarre ersetzt. 
Noch ist es dunkel, gerade die Umriffe der Hallen und meiner Maschine vor ihnen 
find zu erkennen. Die Luft ist von einem dumpfen Gedröhn erfüllt, in das gewaltige 
Cxplofionen den Rhythmus schlagen. Am westlichen Horizont ein unaufhörliches 
weißlich-grünes Flackern, dazwischen Blitze wie Wetterleuchten; das ist der be¬ 
ginnende Angriff. 
Der Himmel hängt voll tiefer Wolken, bis vor kurzem hat es geregnet. Fern¬ 
aufklärung ist nicht möglich. Sie ist auch zwecklos. Wenn der Gegner im Angriff 
steht, kann man fich auch ohne Aufklärung vorstellen, wie es hinter seiner Front 
aussieht. Wie kann man jetzt den Erdtruppen in ihrem Verzweiflungskampf 
helfen? Ich weiß es nicht, nur eins sehe ich: wenn ich hier auf dem Flugplatz 
stehe, bin ich zu nichts nütze. Also los, erst einmal an die Front, das andere findet 
sich dann! So war es immer bei uns Fliegern. Cs wird erwartet, daß wir auch 
in solchen Lagen unsere Pflicht tun, auch ohne Auftrag, wenn einen solchen 
keiner geben kann. 
Das Flugzeug rollt, in der ersten Morgendämmerung heben wir uns vom Boden. 
Dicht über den Bäumen einer Chauffee, unmittelbar unter den Wolken, geht es 
zur Front. Nur einige Minuten dauert es, so sind wir am Kampffeld. Auf 
unseren Stellungen liegt, soweit wir sehen können, eine Qualmwolke, in der es 
blitzt von hellen Explosionen, die brodelt und kocht. Drüben sehen wir aus 
Tausenden von Geschützrohren in rasendem Tempo rote Mündungsfeuer fahren. 
Über uns hängen tiefschwarze Wolken. Es ist ein Bild der Materialschlacht, wie 
ich es so gräßlich schön noch nie gesehen hatte. Ungestört nehme ich es in mich 
auf. Feindliche Flieger sehe ich nur jenseits der Front kreisen, auf unser Gebiet 
trauen sie fich bei den niedrigen Wolken noch nicht. Wir fliegen die Front ent¬ 
lang nach Norden. Ich zergrüble meinen Kopf, das gigantische Schauspiel in mich 
aufsaugend: „Wie kannst du denen helfen, die unten in der Hölle auf den Angriff 
warten?" Am Houthoulster Wald ist die Beschießung schwächer, hier will man 
scheinbar nur eine Angriffsvorbereitung vortäuschen, noch weiter nördlich ist die 
Beschießung wieder ernst gemeint. Ich sehe das Bild der Lage sich herausschälen, 
wie es nur der Flieger sehen kann. Unten wird jetzt jeder Truppenteil, jede 
Division nach hinten melden, wenn sie noch Meldemittel hat: „Trommelfeuer auf 
meinem Abschnitt, feindlicher Angriff zu erwarten," kann doch keiner in dem 
Krachen der Geschoffe feststellen, wie das Feuer verteilt ist. Ich sehe dagegen aus 
der Feuerverteilung der feindlichen Artillerie sich abzeichnen, wo der Gegner ein¬ 
brechen will, welche Frontstellen er nur beschäftigt, und wo er zu Täuschungs- 
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