Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ein Tag in einer Artilleriestellung 
Cäsar, dem Hamlet — mit jener wunderbaren Komödie, mit der der tragische 
Dichter seinen Lebenstag abschloß — dem „Sturm"! Auch da ballt sich 
Verhängnis um Verhängnis — nicht anders, als in den vorausgegangenen Tra¬ 
gödien — aber es kommt zu keinem Konflikt, und die tödlichen Leidenschaften 
werden zu Spielen und Freuden. 
Infanteristen melden, daß man den vorgestern verlorenen Abschnitt wieder- 
gewonnen hat. Vermutlich wird der Engländer den Verlust heute nacht wieder 
ausgleichen wollen. Der Melder bringt neue Sperrfeuergrenzen, auf der Karte 
eingezeichnet, zurück. In der Batterie munitionieren einige Kanoniere, die bei 
Nacht schlafen möchten. Andere arbeiten an den Geschützständen mit dem Spaten, 
andere schlafen schon wieder. Einer fingt sogar mit müder, langgezogener Stimme 
eine Liedstrophe. ^ mychj amal a Mondschei sei — 
I scheinst dir ins Graberl ei..." 
Der Engländer trommelt auf unsere Infanteriestellungen. Die vergangene Nacht 
war ruhig, die kommende wird es nicht sein. So eine „Schlacht" dauert als zu- 
sammenhängend empfundene Handlung immer zwei bis drei Tage und Nächte. 
Die nachbarliche Mörserbatterie benutzt die Pause, um Stellungswechsel zu 
machen, fie hatte am Nachmittag schwere Verluste und kann fich nicht mehr hier 
halten — rückt einen Kilometer nordwärts aus. Man ist froh, daß sie wegzieht, 
es herrscht die optimistische Meinung, daß man dann weniger Feuer herbekommen 
wird. Im Westen steigen die ersten Leuchtkugeln auf. Der Unterstand des vierten, 
des Anglücksgeschühes, wird von einem Leuchtkugelposten bezogen. Nach Ein- 
bruch der Dunkelheit wird Störungsfeuer auf die rückwärtigen Anmarschwege ge- 
schossen. Die Nacht will dem vergangenen Tage nicht nachstehen. Die Wieder- 
holung des Immergleichen wirkt betäubend aus die Männer. Sperrfeuerschießen, 
Schüsse auf die eigene Stellung, in einer Pause hastiges Munitionieren, eine 
Stunde Leuchtkugelposten, wieder Schießen, Schießen, Schießen... 
And so gehen die Tage und Nächte in Flandern weiter. Sie gleichen einander 
und werden zu einem einzigen, zusammenhängenden Zeitraum, der unendlich zu 
sein scheint. Wenn ein Geschütz ausfallen muß — am nächsten Tag ist es durch 
ein neues ersetzt. Die Bedienungen schmelzen zusammen, wenn erst der Regen 
kommt, werden die Strapazen grausam. Nur langsam füllen fich die Lücken der 
Mannschaft. Wenn eine Stellung ganz unhaltbar geworden ist, wird in eine 
andere umgezogen — die als unhaltbar vor einigen Tagen von einer anderen 
Batterie aufgegeben worden ist; man wünscht, in der alten geblieben zu sein, deren 
Bedingungen einem vertraut geworden waren. Aber dann gewöhnt man fich bald 
um, es ist in jeder dasselbe. Der Kern der Männer hält standhaft aus. Die 
Tragödie der Schlacht ist nach eisernen Gesehen im Ablauf und bildet nur einen 
vorbereitenden Akt für die kommende. Weit, sehr weit ist es bis zum „Stur m". 
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