Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Der letzte Akt 
lagen. Dieser Hauch der Verwesung, der sich mit einem Staubgeruch von Kalk 
und Ziegelsteinen vermischte, der öde und menschenleere Anblick des Ortes und der 
sich bald entfernende, bald nähernde Lärm der Beschießung, der jedoch immer von 
dem großen, gleichmäßigen, maschinenartig zitternden Arbeitslärm der Schlacht 
unterstrichen war, riefen in dem einsamen Betrachter den Eindruck eines sehr 
gefährlichen Raumes hervor. Denn die Beschießung ging unaufhörlich ihren 
Gang, sie riß wie eine schwere Brandung an den Überresten des Ortes und lag 
bald auf die Gärten, Plätze und Häuser verstreut, bald auf ein besonderes Viertel 
zusammengefaßt. Manchmal fielen auf eine einzelne Straße, auf ein einzelnes 
Häuserviertel stundenlang, von gleichmäßigen Pausen unterbrochen, Gruppen 
schwerer Geschosse herab, manchmal ballten sich irgendwo aus Hunderten von 
Schrapnellexplofionen große weiße Wolken zusammen, in denen rötliche Flammen 
zuckten. Dann wieder schien sich nach einem unberechenbaren Plane die Masse 
des Feuers, das die Landschaft verwüstete, auf den Ort zusammenzuziehen, der 
unter einem dichten Vorhang von Staub und den bunten Gasen der Sprengstoffe 
verschwand. Reben einem milchigen Dampf, der langsam von den Stellen der 
Einschläge über die Schutthalden kroch> neben den gelben Zungen des Schwefels 
und den stechend braunen Schwaden des Pikrins stiegen die schwarzen Wolken 
der „Kohlenkästen" auf, die den Anschein erweckten, als ob riesige Säcke voll Ruß 
krachend auseinander flögen. Dazwischen mischten sich die Farben der getroffenen 
Stoffe, des Mörtelstaubes, des Ziegelmehls, der Erde, der Steine und der Hölzer, 
die sekundenlang über den Einschlägen schwebten. Je mehr sich die Wut des 
Feuers steigerte, desto häufiger fuhren die mannigfaltigen Raketen der Leucht¬ 
kugelposten hoch, die die Signale der Front weiterleiteten und deren Ketten mitten 
durch den Ort gezogen waren. Reben einfachen weißen, grünen und roten Leucht¬ 
zeichen gab es solche, die in bunte Sterne zersprangen oder in Trauben und 
Funkenfahnen auseinander rieselten. Das Ganze ergab das Bild eines unver¬ 
gleichlichen Feuerwerks, das zu erzielen der kriegerischen Welt kein Aufwand an 
Menschen, Maschinen und Kosten zu groß gewesen war. 
Das Bild dieser vesuvischen Landschaft in der vollen Gewalt ihres Aufruhrs wäre 
der Beobachtungsgabe eines jüngeren Plinius würdig gewesen. Zwar war der 
Kirchturm des Ortes bereits zu einem hohen Schuttkegel zusammengeschossen, aber 
es gab noch Häuser genug, von deren Dachstuhl aus ein guter Rundblick möglich 
war, wenn man sich nicht scheute, die Treppen zu benutzen, deren Stufen vielfach 
unterbrochen waren und die schwankend in ihren Befestigungen hingen. Von 
einem solchen Posten aus war das volle Maß der zerstörerischen Arbeit zu über¬ 
sehen, die der riesige Geschützpark, der zur Bezwingung des Ortes versammelt 
war, leistete. Combles war bereits seit Tagen fast völlig eingeschlossen wie eine 
Insel und hing nur noch durch die dünne Nabelschnur einer einzigen Anmarsch¬ 
straße, die nur bei Nacht beschritten werden konnte, mit den rückwärtigen Ver-
	        
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