Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
zu machen vermochten, die auf dem Anmarsch verwundeten waren, und daß man 
die nächste, ungewiße Nachricht erst durch den feindlichen Heeresbericht oder durch 
die Briefe Gefangener erhielt. In vielen Fällen hörte man erst nach dem Kriege 
Genaueres über die Augenblicke, in denen der Einbruch des Gegners geschehen war. 
Eine solche Verwundung entzog mich bei Combles dem Schicksal meines Ba¬ 
taillons, das am Abend bei Guillemont in Stellung gehen sollte, und das bald 
darauf bis auf den letzten Mann verschollen war. Das spurlose Verschwinden 
einer so großen Einheit in der Schlacht war uns damals noch zu neu, um nicht 
einen mächtigen Eindruck in uns zu hinterlassen — ebenso neu wie die ganze Art 
dieses Krieges, der mit der Sommeschlacht begann, und um diese handelte es sich 
hier. Die ganz ungeahnte und noch nie erlebte Wucht des Feuers machte den 
Eindruck einer Naturkatastrophe, und die Schwere der Verluste war diesem Ein¬ 
druck angemeffen. 
Combles war kurz vorher noch ein friedliches Ctappenstädtchen gewesen, das ganz 
plötzlich, während die Einwohner noch in ihm weilten, mit großen Maßen schwerer 
Geschoffe überschüttet worden war. Als wir dort einzogen, hatte die Gewalt der 
Zerstörung das Bild einer menschlichen Siedlung noch nicht so verwischt, wie wir 
es sonst von den Ortschaften in der Zone des Stellungskrieges gewohnt waren, 
in denen sich meist kaum noch die Grundriße der Gebäude erhalten hatten. Krieg 
und Frieden hatten sich hier vielmehr auf eine sonderbare und groteske Weise ver¬ 
mischt. Das überraschende des Angriffs und die Bestürzung, die er hervorgerufen 
hatte, war noch überall zu erkennen in dem Bilde, das sich den Augen bot. Cs 
schien, als ob der Geist der Häuslichkeit noch nicht ganz aus den verlaßenen 
Wohnungen gewichen wäre, und als ob die Laren und Penaten in dieser kurzen 
Spanne bis zur völligen Zerstörung noch ein seltsam verwaistes Dasein führten. 
Auf diese Weise war ein modernes Pompeji entstanden, das in jedem Winkel an 
ein Leben erinnerte, das sehr entfernt schien, obwohl es gestern noch wirksam 
gewesen war. 
So trugen die meisten Häuser noch alle Stockwerke, wenn auch in ihre Dächer die 
oben hineingefahrenen Geschoße große Löcher geschlagen hatten. Bei vielen 
hatte der Druck der Explosionen ganze Mauern aus ihrem Gefüge geriffen, so daß 
k ' ' Y man von außen die Ordnung der Zimmer und der Möbel im Querschnitt erblicken 
konnte. Das Mauerwerk war in großen Trümmern auf die Straßen gefallen, um 
sie mit Hügeln zu bedecken, zwischen denen der Schritt der Kolonnen bereits schmale 
Pfade eingezeichnet hatte. In den Gärten waren die Bäume mit Früchten bedeckt, 
die nicht mehr geerntet werden konnten, und man sah noch kunstvoll gezogene 
Pfirfichstämme, denen durch einen Treffer die Mauer entriffen war, die ihnen als 
Stütze gedient hatte. 
Cs war ein warmer Septembertag, und die Luft war erfüllt vom Hauch der er- 
schlagenen Menschen und Tiere, die unter den eingestürzten Gebäuden begraben 
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