Volltext: Linz (I / 1927)

Gedanken zur Biologie der Stadt 
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endet, manche sogar zurückgebildet oder doch gehemmt durch die regelwidrigen Folgen 
des Krieges. So deutlich sind sie aber doch schon, um uns zu zeigen, daß diese so alte 
Stadt nun abermals eine neue geworden sei; und doch keine andere, weil sie immer 
noch als die gleiche Persönlichkeit sich fühlt. Ein Beweis, wie stark hinter allen diesen 
Wandlungen ihrer geschichtlichen Erscheinungen die alten Kräfte des Bodens, des Blutes 
und der Erinnerung wirken. 
VI. 
Und weiter geht das Leben, weiter mit ihm die Entwicklung der Stadt: rege und 
rastlos... Doch ihr folgen, das können wir nicht, denn schon sind wir an jenem Punkte 
angelangt, über den hinaus unsere Betrachtung nicht mehr auf Tatsachen sich zu stützen 
vermöchte. Ist doch selbst die Gegenwart dem vollen Verständnis der Mitlebenden ent 
rückt, weil schon die Zukunft in sie hereinragt, um bald in diesem, bald in jenem Stücke 
sich zu verwirklichen; nur daß sie in diesem allmählich vorgreifenden Werden gar 
selten erkannt, sondern meist als unerklärliche oder anmaßliche Störung gewohnter Zu 
stände empfunden wird ... 
Doch können wir nicht wenigstens die Richtung ihres Weges in die Zukunft er 
spähen, wenn schon sein Zi e l uns verborgen bleibt? ... Das wäre in ruhigen Zeiten, 
wo die Dinge nach ihrer Logik sich entwickeln und das Morgen die geradlinige Fort 
setzung des Heute zu sein pflegt, nicht allzu schwer. In unserer Zeit des Überganges 
hingegen, in der neue Formen der Wirtschaft und Gesellschaft sich vorbereiten, kämpfend 
sich schon vollziehen, wird solche Voraussicht ganz unmöglich... Wir wissen wohl, daß 
der Kampf gegen den zur Mammonarchie strebenden Kapitalismus unvermeidlich 
ist, weil er die Wirtschaft sinnlos macht und die Kulturfähigkeit der Menschheit durch öde 
Zivilisation erstickt, und daß die soziale Frage gelöst werden muß, weil sonst die 
Völker an ihr sterben — doch wer vermöchte heute schon zu sagen, zu welchen Lösungen 
dieses Ringen im allgemeinen führen, welche Aufgaben es im besonderen unserer Stadt 
stellen werde?!... Rur Eines sehen wir voraus: diese Lösungen werden neuartig, diese 
Aufgaben werden gewaltig sein; so neu und groß, daß Linz abermals vor der Schicksals 
frage stehen wird, ob die Gegebenheiten seines Lebensraumes auch diesen Forderungen 
genügen können... Oder pocht nicht jetzt schon die Boden- und Wohnreform, dieser 
wurzelhafteste Teil der sozialen Frage, vernehmlich an, und würde nicht gerade die Er 
füllung dieser Forderung tiefeingreifend ihr Bild, ihr Gefüge verändern? ... 
Trotzdem —, wer von der Höhe des alten Walles das einst so armselige Kelten 
dorf nun als mächtige Stadt weithin ausgegossen sieht in die Ebene, wo sie lebhaft 
sich regt und kräftig ausgreift, wer rasch noch einmal die Wandlungen überblickt, die 
von jenem kümmerlichen Einst zu diesem kraftvollen Jetzt geführt — der wird dem 
Zweifel nicht Raum geben, ob sie denn imstande sein werde, auch dieser sich vorbereiten 
den neuen Lebensform als lebendiges und notwendiges Glied sich einzupassen! Ja 
selbst die bange Frage, die augenblicklich als dunkelste Wolke über ihrem Geschicke 
hängt: ob denn dieses Linz, das als Teil einer allmählich großgewordenen Wirt 
schaftsmacht mitgewachsen ist, nun nicht zu groß sei für die kümmerlichen Verhält 
nisse, in die es nun sich versetzt sieht, wird ihn nicht irre machen in seiner Zui- 
versicht. Denn: was unsere Stadt geworden, das ward sie nicht ohne schwere Gefahren
	        
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