Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

Da dem Schwachen die Möglichkeit der direkten Betätigung dieser 
Triebe (der Grausamkeit) genommen ist, läßt er sie vom Grausamen 
besorgen und imaginiert sich dann an dessen Stelle — wie er sich als 
Schwachen an die des Leidenden versetzt fühlt — was einen viel gerin¬ 
geren Aufwand erfordert als eigene Grausamkeit und den gleichen 
Effekt liefert. Das Mitleiden bewahrt aber auch vor dem eigenen 
Leiden, das in der Wahrnehmung von Widerständen wurzelt, die nicht 
überwunden werden können; im Mitleidenden wird der Aufwand, der 
zur Überwindung des Widerstandes mit dem Leidenden mitgemacht 
wird, überflüssig und erzeugt durch Vergleichung mit dem Leidenden, 
Die Kraftanbetung der Frau (Bizepsfetischismus) 
Photographische Aufnahme 
der ihn nicht überwinden kann, Lust. Das Mitleiden gewährt also eine 
doppelte Ersparnis: an Betätigung der eigenen Grausamkeit, die un¬ 
möglich ist, und an dem Auf wände, der im Bestreben zustande kommt, 
doch noch grausam zu sein, sich an die Stelle des Grausamen zu 
imaginieren; der Mitleidige genießt also Grausamkeitslust gleichsam 
ganz umsonst, als Zuschauer, ein psychologischer Tatbestand, der heim 
tragischen Mitleiden im Drama nahezu restlos realisiert ist. Kann auch 
dieses letzte Aufgebot an Grausamkeit nicht mehr gemacht werden, 
so leidet der Mitleidige dann wirklich mit, genießt aber noch in diesem 
Scheinleiden die Lust der Befriedigung seines Grausamkeitstriebes3). 
Ähnlich sagt Dr. Magnus Hirschfeld: »Zunächst könnte man denken, 
es sind doch Sadisten, die an grausamen Vorgängen und am Leiden der 
anderen ihre aktive Freude haben. Weit gefehlt, in Wirklichkeit über¬ 
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