Menschen haben — das ist nach den
Forschungen der Psychoanalyse wohl-
bekannt. Es besteht kein Zweifel, daß
die Grausamkeitsakte, wie sie der Krieg
fordert und heiligt, von jenen Personen
bewußt oder unbewußt bejaht werden,
die in ihrem Triebleben den sadistischen
Grundzug beibehalten haben, für den sie
im Frieden keine hinreichende Betäti¬
gung finden. Abnorme sexuelle Einstel¬
lung und demzufolge Grausamkeitsdelikte
und -akte liefert uns auch der sogenannte
Friedenszustand. Jedoch als Ansporn,
Auslebensmöglichkeit und sozusagen
als Prämie für die bösen Instinkte wirkt
der Krieg als legalisierter Massenmord.
Ohne die sexuellen Hintergründe sind
die mannigfaltigen, sinnlosen Grausam¬
keitsakte des Weltkrieges nicht faßbar.
Ein zweites Motiv, ebenfalls aus
dem Bereich der sexuellen Kräfte,
ist die Rückwirkung, die der Krieg
auf das Sexualleben so Vieler ausübte.
Auch hier spiegelt sich die Unzufriedenheit mit den Zuständen des Frie¬
dens, wie wir es bereits allgemeiner geschildert haben. Wie viele leben in
Bindungen, die ihnen sexuell eine nur mangelhafte Befriedigung gewähren
und eine Zurückdrängung der Bedürfnisse erheischen. Man denke an die
fast vorherrschende Erscheinungsform der heutigen Ehe, die selten eine
erotische Harmonie für die Partner bedeutet. Welche Befreiung,
welche Erlö s u ng, diesen F esseln — wenn auch nur vor¬
übergehend — zu entfliehen und in der Vorstellung
jenen erotischen Erlebnissen entgegenzusehen, die
der Krieg verspricht! Alle, die das sexuelle Elend —
in welcher Form immer — kannten, haben den Krieg
als eine Verheißung auch in diesem Sinne — begrüßt.
Und aus solchen unzähligen Unzufriedenheiten des
Friedens ging eine seelische Haltung hervor, die für
den Krieg förderlich war.
Erotik, Grausamkeit, Zerstörungswut hängen in der Tiefe irgendwie mit¬
einander zusammen. Es bestehen nämlich gewisse Wechselbeziehungen
zwischen den negativen Vernichtungskräften und der positiven Gewalt des
Eros. Denn jede Unterdrückung und Vergewaltigung des Eros kann unter
Das Gespenst des Krieges
Zeichnung von Georg Kretzschmar
4 Sittengeschichte
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