Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

sucht mit ihr den Obersten, der diese 
erhabene Schlacht leitet und dieser ver¬ 
urteilt sie, trotz des Gutachtens des Arz¬ 
tes, zur Deportation. Und nur dank ihrer 
unermüdlichen Tatkraft und dem Mit¬ 
leid eines weniger grausamen Offiziers 
als die anderen, erreicht sie es, daß man 
sie um 5 Uhr abends, nach einem Tag 
eines wahren Martyriums, entläßt. Die 
Unglücklichen, an deren Türen für je 
eine bezeichnete Person eine Schild¬ 
wache steht, werden zunächst in irgend 
einen größeren Raum gebracht, in eine 
Kirche oder Schule, dann werden sie 
herdenweise, kunterbunt durcheinander, 
aus allen Bevölkerungsschichten, Leute 
vom verschiedensten moralischen Wert, 
anständige Mädchen und Dirnen, zwi¬ 
schen Soldaten, Musik voraus, zum 
Bahnhof geführt, von wo sie abends ab¬ 
fahren, ohne zu wissen, wohin man sie 
Zeichnung von h. Gazan in »Le Rire rouge«, 1916 verschleppt und zu welchen Arbeiten 
man sie bestimmt9). 
In dem Proteste der Liller Professoren gegen die Deportation junger 
Mädchen und Frauen aus den besetzten französischen Gebieten werden 
ausgesprochen sadistische Beschuldigungen gegen deutsche Offiziere er¬ 
hoben. »In einem Stadtviertel Fives tranken in einer Polizeiwache bei 
Militärmusik deutsche Offiziere Champagner, während vor ihren Augen 
arme Frauen ins Exil geschleppt wurden.« Anwürfe anderer Art finden 
wir gleichfalls im Protest: 
Zuerst im Viehwagen, dann zu Fuß ging’s in Dörfer an der Aisne 
und in den Ardennen. Strohlager in Häusern ohne Fenster und Türen, 
oft ohne Dach: so waren unsere Frauen wochenlang unter gebracht. 
Später, in leidlicher Herberge, hatten sie sich nachts eindringender 
Soldaten und Offiziere zu erwehren und manche mußte, im Hemd, 
auf nackten Füßen draußen Schutz suchen. Die ihnen auf erlegte Feld¬ 
arbeit war ungemein hart; und alle, ohne Unterschied der Erziehung 
und des Rufes, mußten sich der entsetzlichen Schmach sittenpolizei¬ 
licher Untersuchung fügen, die mit unfaßbarer Roheit durchgeführt 
wurde. Touay wurde nach der Evakuierung ganz und gar ausgeplün¬ 
dert. Kostbare Möbel, Kunstgerät, Silberzeug, Bücher, Pianos wurden 
auf Kähnen verstaut, die man Tag für Tag bei St. Amand vorüberfahren 
»Was mir an Ihrem Beruf am meisten mißfällt, ist, 
daß Sie jede Nacht Wache schieben müssen« 
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