Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

kannteste dieser geheimen Zeitungen, die »Libre Belgique«, erschien seit 
Februar 1915. Es klingt fast unbegreiflich, daß in einem besetzten Lande, 
wo jedes Wort und jede Bewegung auf das strengste überwacht wurde, 
wo der größte Teil der Bevölkerung mindestens einmal in der Woche 
auf dem Meldeamt zu erscheinen hatte, wo die persönliche Freiheit mit 
aller Strenge einer unentschlüpfbar straffen Organisation unterdrückt 
wurde, daß in diesem Lande eine so höhnische Herausforderung vier J ahre 
fortgesetzt werden konnte. Angeblich wurde sogar jede Nummer des 
Blattes im Büro des deutschen Gouvernements abgegeben. Jedes Wort, 
das in dieser Zeitung und in den anderen, die ihrem Beispiel bald nach¬ 
eiferten (La Patrie, L’äme beige, De vlaamsche Leeuw, Le flambeau usw.), 
gedruckt wurde, war todeswürdiger Hochverrat in den Augen der Be¬ 
satzungsbehörden. Unzählige ihrer Leser wurden verhaftet, eingesperrt 
und interniert, auch einige Mitarbeiter konnten ermittelt werden, aber 
es gelang trotz wütendster Verfolgung nicht, die geheime Presse mundtot 
zu machen. 
Daß die in Deutschland im Umlauf befindlichen Geschichten über 
Das Mitglied der Friedenskonferenz: »Ich 6oll nicht freigebig sein? 
Soeben habe ich einem völlig Unbekannten den ganzen Libanon, Est¬ 
land und die östliche Walachei geschenkt!« 
Zeichnung von A. Faivre in »Le Rire rouge«, 1919 
Liebschaften zwi¬ 
schen deutschen Sol¬ 
daten und Frauen 
einer Bevölkerung 
deren Haß auf diese 
Weise jahrelang ge¬ 
nährt wurde, minde¬ 
stens zu einem gro¬ 
ßen Teil frei erfun¬ 
den waren, ist kaum 
zu bezweifeln. Die 
tatsächlich beste¬ 
henden Verhält¬ 
nisse waren solche 
höheren 
Offizieren und Bel¬ 
gierinnen, die ent¬ 
weder im geheimen 
Dienste der geflüch¬ 
teten belgischen Re¬ 
gierung standen, 
Prostituierte waren 
oder durch die im¬ 
mer drückendere 
Not zur Prostitution 
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