Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

heuere Massen von Männern jedem Umgang mit dem anderen Geschlecht 
entriß, muß auch bei flüchtigster Betrachtung einleuchten. Hat doch das 
durch den Militärdienst bedingte monate- und jahrelange Zusammen¬ 
leben dieses Problem schon in Friedenszeiten als höchst beachtenswert 
erscheinen lassen. Im allgemeinen machte man sich über die Verbreitung 
der Homosexualität und Pseudohomosexualität (Verkehr zwischen sonst 
heterosexuell empfindenden Männern, lediglich als Ersatz für den nor¬ 
malen Geschlechtsverkehr) im Heer und in der Marine vielfach über¬ 
triebene Vorstellungen. Jedenfalls haben sich die Militärbehörden, zumal 
in den Ländern, deren Gesetzgebung den Begriff der widernatürlichen 
Unzucht kennt, eingehend mit diesem Problem beschäftigt. Insbesondere 
war das bei den Zentralmächten der Fall, während in dem größeren 
Teile der Ententeländer die gesetzliche Verfolgung des gleichgeschlecht¬ 
lichen Verkehrs unbekannt war. Eine betrübliche Bedeutung erlangte 
dieser Komplex für das österreichische Heer, als die jahrelang ausgeübte 
Spionagetätigkeit des Obersten Redl auf gedeckt wurde. Der homosexuell 
veranlagte Oberst, der den Spionagedienst der Donaumonarchie leitete, 
wurde Opfer seiner Inversion, da der russische Militärattache in Wien 
diesen Umstand in Erfahrung brachte und den Obersten durch die allen 
Homosexuellen hinlänglich bekannten erpresserischen Drohungen zwang, 
den Russen die Pläne des österreichischen Generalstabs zu verkaufen. 
Bekanntlich wurde dies später, wahrscheinlich mit Unrecht, als einziger 
Grund der Niederlage der österreichischen Streitkräfte im russischen 
Feldzug der ersten Kriegsmonate angegeben. Als die Affäre Redl die 
Öffentlichkeit zu beschäftigen begann, brachte ein Teil der Presse Be¬ 
hauptungen über die angeblich besonders große Verbreitung der Homo¬ 
sexualität in der k. u. k. Armee, deren Offizierskorps sich veranlaßt sah, 
Französisches Fronttheater mit Damendarsteller 
Aus »Fantasio«, 1916 
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