seine Kräfte zusammennehmen muß, um sich von der Umarmung zu
befreien und in den Keller zu fliehen.
Die Erfahrung, daß Kriegshandlungen, Greuel und Bluttaten auf die
Frau erotisierend wirken, wurde lange vor dem Weltkrieg gemacht und
in diesem nur erneut bestätigt. Parallelerscheinungen zu der von Casanova
geschilderten Hinrichtung des Damiens, der die Pariser Damen von
den Fenstern aus in einem wahren Paroxismus erotischer Verzückung
beiwohnten und sich an den einen ganzen Tag währenden Martern sublim¬
ster Art ergötzten, dürften im Krieg leicht aufzuspüren sein. Und wenn
wir auch den Erzählungen deutscher Gefangenen, sie seien beim Transport
in Paris und anderen französischen Städten von den Frauen beschimpft
und mißhandelt worden, nicht ungeprüft Glauben schenken wollen, so
gibt es immerhin zu denken, daß derlei sadistische Exzesse (Entblößen
des Hinterteils, Bespucken der Gefangenen, Mißhandlungen mit Stöcken
und Schirmen usw.) fast nur den Französinnen nachgesagt werden15).
Zu beantworten ist noch die Frage, wie sich die Männer, vor allem also
die Pfleglinge, diesen Regungen und Gelüsten der Krankenschwestern
gegenüber verhielten. Daß dem »Voyeusentum« der Pflegerinnen auf
Seiten der Soldaten eine ausgeprägte Schamhaftigkeit, oder, wie man in
diesem Zusammenhänge richtiger sagen könnte, ein Mangel an korrela¬
tivem Exhibitionismus gegenüber¬
stand, haben wir schon gesehen.
Im übrigen beurteilt die Zeit
und die öffentliche Meinung der
Kriegsjahre die Pflegerinnen be¬
zeichnenderweise fast nur unter
dem Gesichtspunkt der Erotik,
zugleich aber durchwegs ambiva¬
lent. Auf der einen Seite wird die
verklärte Gestalt der Pflegerin in
den Mittelpunkt eines idealisie¬
renden, jedoch durchaus libidi-
nösen Kultus gestellt, auf der
anderen findet man ein besonde¬
res Vergnügen daran, diese Ideal¬
gestalt zu besudeln, ihr in noch
viel weitgehenderem Maße als
es im obigen durch uns geschehen
ist, erotische Beweggründe unter¬
zuschieben. Überhaupt bekommt
man den Eindruck, daß die Pfle¬
gerin entweder ein Engel oder
Aus einem Plakat für französisches Aspirin
(Frankreich hat im Kriege versucht, dieses beliebte
Heilmittel deutscher Herkunft durch französische
Produkte zu ersetzen)
Zeichnung von Zyg. Brunner
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