Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

sches Spiegelbild, das auch ein 
Zerrbild sein kann. Der wirk¬ 
liche Grund wird von den 
wenigsten durchschaut. Die zu 
seiner Maskierung herangezo¬ 
genen ideologischen Gründe 
hinwieder sind so verschiedene 
und mannigfache, daß einer 
den anderen auf hebt. Prüfen 
wir diese ideologischen Gründe 
des Weltkrieges, so wird uns 
versichert, daß Deutschland 
den Krieg um den »Platz an 
der Sonne«, England wegen 
der verletzten Neutralität Bel¬ 
giens, Frankreich um die im 
Elsaß lebenden Brüder, Ita¬ 
lien zur Befreiung der unter 
Fren Ldherrschaft schmachten¬ 
den Italiener, Amerika um 
Demokratie und Selbstbe¬ 
stimmungsrecht der Völker 
führte. In so verschiedener 
Weise wird die einzige 
Kriegsursache verschleiert. Die 
einzige darum, weil eine 
so bunte Mannigfaltigkeit der 
ideologischen Beweggründe keinesfalls eine derart einheitliche historische 
Welttat hätte hervorrufen können, wie sie der Weltkrieg war. Wir werden 
gut daran tun, die von den einzelnen Staaten angeführten Kriegsgründe 
nicht als Ursachen des Kriegsausbruchs, sondern als ideologische Ziele 
anzusehen. Der Dualismus von »zureichendem Grund« und offen zugegebe¬ 
nen idealen Zielen kann nicht überraschen. Die Psychoanalyse hat uns 
daran gewöhnt, daß wir den Handelnden selbst im Alltagsleben vergeb¬ 
lich nach der Triebfeder so mancher seiner Handlungen fragen. Freud 
selbst äußert sich hierüber in einer Weise5), die bei der Rolle, die das 
Unterbewußte im fertigen System der Psychoanalyse spielt, keinen Zweifel 
darüber zuläßt, daß wir in der Erkenntnis und Verfolgung dieser Tatsache 
den Ursprung der Psychoanalyse zu sehen haben. Mit besonderem Nach¬ 
druck verweist Freud in den betreffenden Ausführungen auf die Unkennt¬ 
nis, in der sich seine Patienten, nicht nur was den Grund, sondern auch 
was den Zweck betraf, über den Sinn ihrer Handlungen befanden und die 
Wilhelm II. in der Karikatur 
Französische Postkarte aus der Zeit des Marokkokonfliktes 
Sammlung A. Wolff, Leipzig 
XIV
	        
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