Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

Wiedersehen in Paris 
Aus »Vie de Garnison« 
täten und der glei¬ 
chen Ansprache an 
alle vor. Es gab Be¬ 
zirksämter in Pa¬ 
ris, in denen an 
einem Vormittage 
dreihundert Trau¬ 
ungen vorgenom¬ 
men wurden. Sehr 
oft liefen vor dem 
Arbeiter im Kom¬ 
mißgewand, der 
seine beleibte Nach- 
barin oder Gevatte¬ 
rin am Arme führte, ein Rudel Kinder her, die sich neugierig nach 
allen Seiten umschauten und sich wie bei einer Theatervorstellung 
freuten: »Papa und Mama lassen sich trauen10) !« 
Natürlich erfolgte die Eheschließung in allen Ländern sehr oft aus dem 
Grunde, um der Frau als Angehöriger eines im Felde stehenden Soldaten 
wirtschaftliche Vorteile zu sichern. 
Die eheliche Untreue der Kriegerfrauen bildete jahrelang den Stein 
des moralischen Anstoßes. Auch hier widerlegte das Leben alle Berech¬ 
nungen und Voraussagen. In Deutschland bekam man im Anfang des Welt¬ 
krieges begeisterte Tiraden über den sittlichen Ernst der deutschen Frau 
zu hören, die als leibhaftiger Gegensatz der leichtfertigen Französin hin¬ 
gestellt wurde. Auch die Frage, ob die Frau ein größeres oder geringeres 
Geschlechtsbedürfnis als der Mann besitze, wurde erneut aufs Tapet ge¬ 
bracht. »Die deutschen Frauen haben . . . jetzt im Weltkrieg unter den 
schwierigen Lebensverhältnissen andere Dinge im Kopf, als sich zum Ge¬ 
fäß der Lust zu machen. Die deutsche Frau hat nichts mit jenen ent¬ 
arteten Weibchen gemein, die schon im Frieden, namentlich in großen 
Städten, den Männern nach jagten«, schreibt Vorberg11) und auch Dr. 
Fraenkel spricht sich über die deutsche Frau wie folgt aus: 
Ihre Sorgen und Arbeitspflichten sind derart vergrößert, daß nicht 
viel Lust und Zeit zu Extratouren bleibt. Die Verlockung in der Heimat 
ist gering, da die kräftigeren Männer fehlen oder überanstrengt sind. 
Der wichtigste Unterschied der Geschlechter liegt indessen in der 
geringeren Libido der Frau. Unter ihnen ist ein nicht ganz unerheb¬ 
licher Bruchteil kalt oder minder erregbar; ich schätze ihn auf zehn 
Prozent. Bei der Frau schläft die geschlechtliche Begierde bei Er¬ 
krankungen des Mannes, im Witwenstande oder bei der durch den 
Krieg bedingten langen Abwesenheit des Mannes ein, auch wenn sie 
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