Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

mode entgegen, indem sie die symbolische Entblößung, die vor allem 
in der Verkürzung des Rockes, aber auch in zahlreichen anderen 
Details zum Ausdruck kam, erlaubte und gebot. Derselbe unbewußte 
Drang, dem Mann möglichst viel von den Reizen der Frau darzubieten, 
hatte schon dem Schlitzrock zugrunde gelegen. Und nicht zuletzt wäre zu 
erwähnen, daß auch das Wort und die Parole der »Nacktkultur« im Kriege 
aufkam. Daß dann, je mehr sich im Laufe des Krieges die Bedingungen 
der Liebeswahl für die Frau erschwerten, diese Tendenzen immer weitere 
Fortschritte machten, ist begreiflich. Von Jahr zu Jahr wurde mehr vom 
Frauenbein den Männerblicken enthüllt. Dem Volksmunde bot diese lang¬ 
sam aber sicher fortschreitende Verkürzung des Rockes willkommenen 
Stoff zu Witzen. Es hieß: »Der Krieg dauert zwar lang, dafür aber werden 
die Kleider der gnädigen Fräu immer kürzer.« Und wenn auch der knie¬ 
freie Rock als Kulminationspunkt der Nachkriegszeit Vorbehalten blieb, 
kann man nicht bezweifeln, daß hier ein respektables Stück Weg zurück¬ 
gelegt wurde, wenn man an den kurzen, dafür aber faltenreichen und 
weitgebauschten Rock und an die auf erstandene Krinoline der letzten 
Kriegsperiode denkt. 
Natürlich erforderten diese Schöpfungen der Kriegsmode eine unge¬ 
heuere Stoffverschwendung, die die Entrüstung aller kriegsbegeisterten 
Patrioten hervorrief. Man dürfte nicht fehlgehen anzunehmen, daß auch 
diese Verschwendung der Damen zu einer Zeit, die für die breiten Volks¬ 
massen das größte Elend und die bittersten Entbehrungen bedeutete, 
nicht ganz frei von sadistischen Motiven war. »Bei Entstehen der Kriegs¬ 
mode mit den faltenreichen Röcken und den hohen Lederstiefeln lag die 
sexuelle Quelle zunächst im Dunkeln. Wir finden sie, wenn wir uns über 
die Zeitumstände genau informieren, in denen sie auf kam. Auf dem Wirt¬ 
schaftsmarkt begann damals der Mangel an Tuchen und Leder sich fühlbar 
zu machen. Nun kennt die Sexualpsychologie aus der Geschichte sowohl 
wie aus dem täglichen Leben die 
Tatsache, daß für manche Naturen 
in der besonderen Betonung eines 
Luxuslebens gegenüber einer Not¬ 
lage anderer Menschen ein beson¬ 
derer ICitzel liegt. Es ist dies eine 
milde Form von Sadismus. Das 
Titelvignette aus der Zeitschrift »La Bai'onnette« 
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