Volltext: Schärding [5]

des Kunstlebenö eines Ortes, einer Landschaft, eineö 
Landes und, in der Summe der Einzelerscheinungen, 
in der Vereinigung der Teile zum zusammenge 
hörenden Ganzen, zur historisch richtigen Erkenntnis 
der Entwicklung des Kunstlebens eineö ganzen Volks- 
stammeS führt. 
Meine Arbeiten an der Inventarisation der Kunst 
denkmale des JnnviertelS gaben mir Veranlassung 
zu versuchen, ein Lexikon der seit der Mitte deö 
16. Jahrhunderts bis zur Abtretung des JnnviertelS 
im Jahre 1779 in Schärding tätigen Künstler 
und Kunsthandwerker zusammenzustellen. Die Namen 
von rund 350 Meistern, die in der Geschichte der 
Kunst und des Kunsthandwerks bis heute unbekannt 
sind, waren das im nachfolgenden 2. Teil dieser 
Arbeit zur Veröffentlichung gelangende Resultat dieses 
Versuches. Im Schärdinger Bürgerbuch, in den 
alten Kirchenrechnungen, in den Akten der Pfleg 
gerichte, der Rentmeisterämter und deö Geistlichen 
Rats in München, in denen ihre Rainen aufscheinen, 
da waren diese Meister nichts anderes als die 
„Schärdinger Werkleute", nach unseren historisch nicht 
ganz richtig eingestellten Begriffen, simple Hand 
werker, von denen aber, wie die Akten uns lehren, 
wohl jeder tm Stande war, über Leistungen reiner 
Zweckmäßigkeit hinaus, sich zu Schöpfungen bester 
künstlerischer Qualität zu erheben. Wenn Chrisoftomus 
Fink, der Schärdinger Tischlermeister und Aiden- 
bacher Freiheitskämpfer, heute Fensterstöcke und 
Stubentüren zimmerte und anno 1667 wieder den 
Entwurf und die ganze Architektur zum schönen 
Hochaltar von Maria Brunnenthal schuf (Abb. 111/19), 
wenn der Schlaffer im Grübl, Johann Georg 
Gruber, heute schmucklose Fenster- und Türbeschläge 
fertigte und 1774 daö reizvolle Rokokogitter der 
Wieskapelle in Rotthalmünster kunstschmiedete, wenn 
Matthias Kager, der liebenswürdige unbekannte 
Bildschnitzer deö Rokoko, heute die kunstlosen Kugeln 
für die Traghimmelsstangen lieferte und 1774 unter 
deö OberhofbaumeifterS C u v i l l i e s' Leitung und 
zu dessen Zufriedenheit den Choraltar für Zell a. d. 
Pram schnitt, so sind daö nicht Ausnahmsfälle, 
sondern die Regel, denn es gab damals kaum einen 
Kunsthandwerker, der nicht befähigt war, in seinem 
Werk die Sprache bester Kunst zu sprechen, wirklich 
der Interpret für das gehobene Ausdrucksbedürfnis 
seines Auftragsgebers zu sein. Gerade mit Rück 
sicht auf dieses Ausdrucksbedürfnis des lokalen Be 
stellers war es selbstverständlich, daß der Künstler 
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sich lokalem Geschmack und lokaler Eigenart anpaßte. 
Wenn wir nun in einer einzigen kleinen kurbayrischen 
Landgerichtsstadt wie Schärding, nur für einen Zeit 
raum von zweieinhalbhundert Jahren, rund 350 völlig 
unbekannte Namen von Künstlern und Kunsthand 
werkern feststellen, so sind wir zu dem Rückschluß 
gezwungen, daß mindest ein Gleiches bei den «reist 
bedeutend größeren anderen 84 kurbayrischen Land- 
und Pfleggerichtsstädten bezw. -orten gelten muß, 
denn ebenso wie Schärding seit urältester Zeit seinen 
fast stets, nrit ganz vorübergehenden Ausnahmen, 
gleichbleibenden, der wirtschaftlichen Anfnahmefähig- 
keit des Verwaltungsbezirks angepaßten Status an 
Künstlern und Kunsthandwerkern hatte als: 2 Maurer 
meister, 2 Maler, je 1 Bildhauer, Goldschmied, Zinn 
gießer, Gürtler und Kupferschmied, 3 Tischler, 3 Schlos 
ser, 2 Iimmermeister und wohl 3 Hafner, so hatten 
auch die anderen Landgerichtsorte ihren festen Status, 
so daß wir ganz sicher keinen Multiplikationöfehler 
nach oben begehen, wenn wir für die 85 bayrischen 
Land- und Pfleggerichtsorte von der Mitte des 16. 
bis zum Ende deö 18. Jahrhunderts allernrindest 
30 000 schaffende Künstler und Kunst 
handwerker errechnen, von denen wir 
heute kaum ein paar hundert in ihren 
Namen und Werken kennen. 
Die Bloßlegung der Namen und des Schaffens dieser 
rund 30 000 unbekannten Künstler und Kunsthand 
werker, die Schilderung der näheren Umstände ihrer 
Tätigkeit, wie wir sie im 3. und 4. Teil dieser Arbeit 
geben wollen, wäre gleichbedeutend mit der wissen 
schaftlichen Bloßlegung der Pupillargefäße im Blut 
kreislauf kurbayrischen Kunstlebenö. Münchens ver 
dienstvoller greiser Historiker Karl Tr aut mann, 
hat uns hier erfolgversprechende Wege gewiesen und 
die deutsche Kunstgeschichte nrit seinen Arbeiten un 
endlich bereichert. Wir haben mit der vorliegenden 
Studie, zunächst nrit Beschränkung auf das ehenrals 
kurbayrische Landgericht Schärding, versucht, in die 
Erkennntnis der Haargefäße bairischen Kunstlebens 
einzudringen und haben die Fortsetzung des aufge- 
stelltenArbeitssystems mit derBloßlegung des Materials 
für andere Landgerichtsftädte wie Braunau, Ried, 
Mattighofen,Mauerkirchen, Griesbach,Burghausen u.a. 
vorbereitet, doch der Mehrteil solcher Titanenarbeit ge 
hört der Zukunft an; es wird sich neben der allgemeinen, 
sagen wir international oder übernational eingestellten 
Kunstwissenschaft erst noch die völlig gleichwertige 
und für erstere, will diese eine historische Wissenschaft 
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