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Nr. 474
Der Kaiser an das Reichsmarineamt und den Admiralstab1
Zur Orientierung für R. M. A. und Adm.-Stab.
Secretissime! 31/VII 14 12h. Mittags
Nachdem mir gestern — 30. VII. — Chef Adm. Stabes Kennt¬
nis des Telegramms des Marineattaches aus London gegeben hatte,
die Unterhaltung Sir E. Greys mit Fürst Lichnowsky betreffend, in
welcher Deutschland zu verstehen gegeben wurde, daß nur das Ver-
rathen seines Bundesgenossen durch Nichttheilnahme am Kriege
gegen Rußland uns vor einem sofortigen Englischen Angriff bewahren
könnte, traf bald darauf die Meldung des Botschafters über dieses
Gespräch als Bestätigung ein, vom Ausw. Amt kommentarlos ein-
gesandt3. Es war mir klar, daß hierdurch Sir E. Grey seinen eigenen
König, der mir eben durch Prinz Heinrich eine klare Neutralitäts¬
erklärung offiziell hatte zugehen lassen4 — am 29. mündlich über¬
bracht —, mir gegenüber als unwahrhaft darstellte. Da ich nun der
Überzeugung bin, daß die ganze Krisis nur allein durch England
veranlaßt und nur allein durch England gelöst werden kann (durch
Druck auf die verbündeten Russen und Gallier), so entschloß ich
mich zu einem Telegramm privater Natur an den König, der anschei¬
nend sich seiner Rolle und Verantwortung in der Krisis in keiner
Weise klar ist. Durch den Prinzen Heinrich ließ ich folgendes etwa
telegraphieren5: Ich sei Sr. M. sehr zu Dank verpflichtet für seine
Neutralitätserklärung, die mir der Prinz in seinem Aufträge über¬
brachte. Ich sei über die Lage sehr präoccupiert und in angestrengter
Arbeit, sie zu lösen. Andauernder telegr. Meinungsaustausch zwi¬
schen Zaren und mir finde statt, da derselbe an mich appelliert habe,
zwischen ihm und Wien zu vermitteln, was ich bereitwilligst über-
1 Nach der eigenhändigen Niederschrift des Kaisers.
2 Am 31. Juli vom Chef des Marinekabinetts urschriftlich unter Rücker¬
bittung zunächst an den Staatssekretär des Reichsmarineamts gesandt, der
die Kenntnisnahme 215 (nachm.) bestätigt, von dort direkt an den Chef des
Admiralstabs weitergegeben, der 250 (nachm.) Kenntnis nahm. Müller ließ
das Schreiben dann urschriftlich auch dem Chef des Generalstabs zugehen,
der die Kenntnisnahme 8° nachm, bescheinigt und es an den Kriegsminister
weiterleitet, welch letzterer 810 nachm. Kenntnis nahm. Das Schreiben
gelangte erst Januar 1919 zum Auswärtigen Amt. Der Kaiser verfügte
durch Zusatzbemerkung über dem Schreiben noch: »Abschrift an Chef
des Generalstabs und Kriegsminister.«
3 Siehe Nr. 368.
4 Siehe Nr. 374.
5 Siehe Nr. 417.