Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1 
St. Petersburg, den 25. Juli 19141 2 
Die Unterredung, die ich gestern abend mit Herrn Sasonow 
hatte, und über die ich anderweitig schon zu berichten die Ehre hatte3, 
drehte sich, nachdem ich dem Minister den Standpunkt der 
k. Regierung entwickelt hatte, zunächst hauptsächlich um die 
Frage der vom Minister befürworteten europäischen Enquete über 
die Konnivenz der serbischen Regierung gegenüber den Treibereien 
der groß-serbischen Propaganda. Herr Sasonow vertrat den Stand¬ 
punkt, daß die Frage eine europäische sei, da Serbien nach der 
-bosnischen Krisis Europa gegenüber Verpflichtungen übernommen 
habe, und daß Europa Serbien nicht der Vergewaltigung durch seinen 
mächtigen Nachbarn preisgeben dürfe. 
Ich versuchte, dem Minister zu beweisen, daß es im Interesse der 
dringend erwünschten Vermeidung aller etwaiger weiterer Kompli¬ 
kationen durchaus geboten erscheine, den österreichisch-serbischen 
Konflikt zu lokalisieren. Ich wies ferner darauf hin, daß nach 
meiner Überzeugung Österreich-Ungarn auf die Zumutung, die 
Untersuchung gegen die Urheber des Attentats von Sarajevo einer 
Superrevision der Mächte zu unterwerfen, niemals eingehen werde 
und auch nicht eingehen könne, wenn es nicht auf seine Stellung als 
Großmacht verzichten wolle. 
Ich machte endlich darauf aufmerksam, daß mir der ganze Vor¬ 
schlag, die Angelegenheit vor einen europäischen Areopag zu bringen, 
auch abgesehen von der zweifellos zu gewärtigenden österreichischen 
Ablehnung, auch durchaus unpraktisch erscheine, da unbedingt zu 
erwarten sei, daß der allgemeine politische Standpunkt der ver¬ 
schiedenen Mächte und Mächtegruppen bei der Stellungnahme zu der 
Frage der ausschlaggebende sein werde. Was aber habe ein solches 
»Gerichtsverfahren« für einen praktischen Zweck, wenn sich »die 
politischen Freunde« Österreich-Ungarns auf seine Seite und die 
Gegner auf die Gegenseite stellten? Wer solle in diesem Falle die 
Entscheidung fällen? 
Herr Sasonow war durch diese Argumente nicht von seiner Idee 
abzubringen und bat mich dringend, sie meiner Regierung zu über¬ 
mitteln. Ich entgegnete, es sei natürlich meine Pflicht, meiner 
Regierung über seine Stellungnahme zu berichten, ich könnte ihm 
aber nicht die geringste Aussicht machen, daß Ew. Exz. diesen, nach 
1 Nach der Ausfertigung. 
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 26. Juli nachm. Randnotiz des 
Reichskanzlers: »S. M. vorgetragen: v. B. H. 27.« 
8 Siehe Nr. 160.
	        
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