Volltext: Deutschland und Europa

land, mit dem er 1889 herv artrat. Damals war seine Angst, Rußland könne 
trotz des Rückversicherungsvertrages abschwenken, stark im Zunehmen be¬ 
griffen, und er hoffte daher endlich mit London zu einem Ergebnis zu ge¬ 
langen. Der deutsche Botschafter an der Themse, Graf Hatzfeldt, erhielt 
daher den Auftrag, Lord Salisbury einen Vertrag zwischen Deutsch¬ 
land und England zum Zweck gemeinsamer Abwehr französischer Angriffe 
vorzuschlagen. „Mein Gedanke ist der,“ so heißt es in der Weisung, 
„daß, wenn Seine Majestät es genehmigt, zwischen der englischen und 
der deutschen Regierung ein Vertrag geschlossen werden sollte, durch wel¬ 
chen beide sich zu gegenseitigem Beistände verpflichten, wenn Frankreich 
im Laufe der nächsten ein, zwei oder drei Jahre, je nach Befinden, einen der 
beiden angreifen sollte, und daß dieser Vertrag, der für das Deutsche 
Reich auch ohne Parlamentsbeschluß bindend sein würde, dem englischen 
Parlament zur Genehmigung vorgelegt und dem deutschen Reichstage 
öffentlich mitgeteilt würde. Ich glaube, daß die Wirkung eines offenen und 
männlichen Schrittes in dieser Richtung nicht nur in England und Deutsch¬ 
land, sondern in ganz Europa eine erleichternde und beruhigende sein 
würde“8). Was Bismarck anstrebte, liegt somit klar auf der Hand. Er 
wollte sich durch eine Abmachung mit Großbritannien in keiner Weise 
für den englischen Gegensatz gegen Rußland verpflichten. Deutschland 
durfte nach seiner Ansicht niemals ein Vorposten britischer Interessen auf 
dem Kontinent werden. Nur da, wo die Vorteile beider Länder zusammen¬ 
fielen, nämlich in einer Überwachung Frankreichs, um dieses Land an 
der Störung des europäischen Friedens zu verhindern, sollten sie seinem 
Wunsche gemäß Hand in Hand gehen. Das wäre also ein Bündnis unter 
voller Wahrung der gegenseitigen Unabhängigkeit gewesen, bei dem kei¬ 
ner der Vertragschließenden Gefahr lief, in einen Krieg hineingezogen zu 
werden, der seinen nationalen Bedürfnissen widersprach. Der Außenmini¬ 
ster des Inselreiches, Lord Salisbury, wich dem Angebot jedoch aus. Er 
sagte „nicht nein und nicht ja“ und bedauerte für den Augenblick außer-; 
stände zu sein, mehr zu tun. Der eigentliche Grund seiner Haltung war, 
daß der Vorschlag Bismarcks den Wünschen Englands nicht entsprach. 
In London erhoffte man sich von dem Zusammengehen mit einer Festr 
landsmacht gerade das, was der deutsche Reichskanzler vermeiden wollte: 
Man strebte nach einem Bundesgenossen, den man gegen die eigenen Ri¬ 
valen auf dem Kontinente, damals vor allem gegen Rußland im Notfall 
vorschicken konnte. Im Jahre 1887, als Lord Salisbury in Berlin anklopfte, 
handelte es sich darum, Deutschland für die britische Politik im nahen 
Orient zu gewinnen, die sich, wie wir sahen, gegen das Zarenreich richtete. 
Darauf wollte Bismarck wiederum nicht eingehen und erklärte sehr deut¬ 
lich: „Unsere Politik wird ... notgedrungenerweise dahin zielen, uns 
Bündnisse zu sichern, welche sich uns angesichts der Möglichkeit, gleich¬ 
zeitig unsere beiden mächtigen Nachbarn bekämpfen zu müssen, darbie¬ 
8) Große Politik, Bd. IV SS. 401/402. 
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