Der Sommerfeldzug 1914
Die Mobilisierung
Der Meuchelmord von Sarajevo hatte Österreich-Ungarns Völker und sein Heer
eines tatkräftigen, zielbewußten Führers beraubt, dem man die Willenskraft und
auch die Fähigkeit zumaß, durch erfolgreiche Lösung des österreichischen Problems
die Großmachtstellung der Donaumonarchie fest zu untermauern. In dem Attentate
allein lag schon eine Kriegsvorbereitung, wie sie wirkungsvoller kaum geplant und
durchgeführt werden konnte.
Mächtig schwoll das natürliche Rachegefühl aller Stämme des Habsburgerreiches
an und forderte Sühne für das fluchwürdige Verbrechen. Der Schrei nach Abrechnung
mit dem Störenfried jenseits der Donau-Save war in allen Gauen des Reiches
hörbar. Der feit Jahren andauernden Unsicherheit, die sich auch nach der wirtschaft¬
lichen Seite hin ungünstig auswirkte, sollte ein Ende gefetzt werden.
Die durch den Fürstenmord hervorgerufene Entrüstung stand im Gegensatze zu
dem stillen Verhalten der verantwortlichen Stellen, denen die Gefahren des
drohenden Weltbrandes vor Augen schwebten. Woche um Woche verrann. Die lange
Frist, die Österreich-Ungarn verstreichen ließ, bevor es gegen Serbien vorging,
verhalf den Ententemächten zur Sammlung ihrer Kräfte.
Da mannigfache, von den Mördern nach dem Königreiche Serbien hinüber¬
führende Fäden bloßgelegt worden waren, überreichte am 23. Juli, nahezu vier
Wochen nach Franz Ferdinands Tod, der k. u. k. Gesandte in Belgrad der serbischen
Regierung eine auf achtundvierzig Stunden befristete Note, die den Serben den
Bruch des am 31. März 1909 gegebenen Versprechens guter Nachbarschaft vorwarf
und eine Reihe strenger Forderungen stellte. Das Ultimatum wurde durch irgendeine
militärische Maßregel nicht begleitet, um bei den gegnerisch gesinnten Mächten
keinen Anstoß zu erregen.
Die Antwort, die Serbien zwei Tage später, am 25. Juli (Samstag) knapp vor
sechs Uhr abends, überreichte, war äußerst geschickt abgefaßt. Ihre teils offenen, teils
hinterhältig versteckten Vorbehalte nahmen ihr im Grunde jeden Wert.
Kaiser Franz Joseph setzte noch am Abende des 25. Juli nicht leichten Herzens
seine Unterschrift unter den Befehl zur Mobilmachung der für den Kriegsfall
Balkan unter die Waffen zu rufenden Streitkräfte.
Belgrad hatte von allem Anbeginne nicht damit gerechnet, Wien zufrieden¬
zustellen. Der Beweis hiefür lag in der Tatsache, daß drei Stunden vor Überreichung
der Antwortnote Serbien mobil gemacht hatte. Seine Haltung fand Stütze am
Zarenreiche, das seine eigenen Balkanpläne zu verwirklichen gedachte. Mochte auch
die drängende Not der Stunde ein sofortiges, möglichst starkes Aufgebot des Donau¬
reiches gegen Rußland erfordern, so widerrieten politische Rücksichten einem der¬
artigen Vorgehen. Auch ließ Rußlands Verhalten in diesen Stunden die Möglichkeit
eines kurzen, aber entscheidungsvollen Schlages gegen die serbische Armee erhoffen,
bevor das Zarenreich als offener Gegner auftrat.
Die Verantwortung, die das Habsburgerreich durch das moralisch gewiß vollauf
berechtigte Vorgehen gegen Serbien aus sich genommen hatte, war ohnehin schon
schwer genug. Wenn es sich nun ohne weiteres Besinnen gegen Rußland gewandt
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