Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

Die allgemeine Lage am 16. Juni 1916 73 
Armeen in diesen Tagen südlich und nördlich der Poljesje vor. Die Armee 
Kaledin setzte ihre Versuche fort, den Stochod zu überwinden, bekämpfte nörd- 
lich der Bahnlinie Rowno—Kowel die alten Divisionen Linsingens, trieb 
westlich von Luzk auf beiden Afern der Polonka ihre Kavallerie gegen Wla- 
dimir—Wolynst vor und wartete ungeduldig auf Verstärkungen aus dem 
Befehlsbereich Kuropatkins, um den Vormarsch mit überlegenen Kräften 
wieder aufzunehmen. Linsingens Gegenangriffe blieben örtlich gebunden. 
Man war kaum imstande, sich der Übermacht zu erwehren, fehlten doch der 
k. und k. 4. Armee mehr als die Äälfte ihrer Streiter und Geschütze. 
Die Armee Sacharow hatte den linken Flügel Puhallos weiter zurück¬ 
gedrückt und erreichte am 15. Juni die Placzewka, hinter der Puhallo noch 
standhielt, um Boehms Flanke zn decken. Sacharow griff an. Bis an den 
Lals im Wasser durchwateten die Russen den Fluß, verloren zahlreiche 
Kämpfer in Antiefen und Drahtverhauen, zwangen aber die 1.Armee durch 
Äberflügelung, den zerfetzten Flügel noch schärfer zurückzuschwenken. 
Vor der Front der k. und k. 2. Armee löste Sacharow zahlreiche Feffe- 
lungsangriffe aus. Boehm-Ermolli ließ sich dadurch weder verwirren noch 
zu überstürztem Rückzug bewegen, sondern hielt stand. 
Die Armee Scherbatschew lag vor der Front der Südarmee gebunden. 
Die Südarmee stand vor Lladki bis Burkanow unerschüttert und von Olesza 
bis zum Dnjestr neu gefestigt. Die schweren Krisen, die der verlängerte 
Südflügel durchgemacht hatte, waren am 16. Juni überwunden. Reue 
heraufzubeschwören, fehlte es Scherbatschew an Kräften. 
Die Armeen Brussilows begannen, an Menschen Mangel zu leiden. 
Selbst Leschitzki rief nach Verstärkungen. Er hatte die 7. Armee aus dem 
Sattel gehoben und stand zwischen Pruth und Dnjestr in zerstreuten Kämpfen, 
war aber nicht mehr stark genug, die Pruthlinie zu bezwingen und an ihr vor¬ 
bei in einem Zug bis Kolomea—-Stanislau durchzustoßen. Seine Truppen 
waren erschöpft, der Nachschub stockte, die Verbindungen begannen sich zu 
dehnen, aber der Angriff hatte sich trotz dieser Schwierigkeiten noch nicht 
totgelaufen. Am 17. Juni fiel Czernowitz als reife Frucht zum drittenmal 
in die Lände der Russen. Pflanzer-Baltin, der in 14 Tagen 57 Prozent 
seiner Stärke verloren hatte, wich über den Pruth. 
Die erste Offensive der Russen hatte im ersten Anlauf in Wolhynien, 
Galizien und der Bukowina ungewöhnliche Erfolge davongetragen. Aber 
nun drängle sich dem russischen Kriegsrat gebieterisch die Frage auf, wie 
der Feldzug fortgesetzt werden sollte. Diesmal siegte Brussilows Anschau¬ 
ung. Diesmal behielt der Sieger recht. Alexejew entlieh den Nordarmeen 
Kuropatkins sehr starke Kräfte und übergab sie Brussilow zur Fortführung 
der Durchbruchsschlachten in Wolhynien und Galizien, die zur großen Ope¬ 
ration reiften. Während Kuropatkins Artillerie die Stellungen Belows 
und Scholtzens beschoß, rollten Division um Division von Dünaburg über
	        
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