Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

62 Der Feldzug im Osten vom 14. Nov. 1915 bis 31. Aug. 1916 
Die strategische Lage nach der Frühlingswende 
In Kowno ging trotzdem ernste Sorge um. Man wurde im Haupt¬ 
quartier Lindenburgs das Gefühl nicht los, daß Kuropatkin und Everth 
aufs neue rilsteten und sich während der Schneeschmelze zu einer allgemeinen 
Offensive bereitstellten. Zn dumpfer Erwartung verflossen die Tage. Das 
Eis brach, die litauischen Seen, Serwetsch, Schara, Beresina, Komaika, 
Disna und Düna tauten auf und zogen Zentnerlasten deutschen Stachel¬ 
drahtes in die Tiefe, Sumpfbatterien drohten im Bodenlosen zu verschwinden, 
Schneewehren und Sandsackbarrikaden fielen ein und die Unterstände ersoffen. 
StürzendeKolonnenpferde erstickten im Schlamm grundlos gewordenerWege, 
und die Lazarette füllten sich mit Kranken. Bor der Front des XXI. Korps 
lagen noch Tausende toter Russen unbestattet, bei Blizniki schlief Balujew 
auf eroberten Positionen. Erstes Grün und der rauschende Flug nordwärts 
ziehender Vögel verkündeten den Steppenfrühling, in dem der Kosak schon 
in alter Zeit sein Roß zum Kampf gesattelt hatte. 
Lindenburg ließ schanzen. Die zerstörten Stellungen wurden wieder 
instand gesetzt, neue Feldbahnen gelegt und die Verbindung mit Prinz Leo¬ 
pold enger gezogen. Je heftiger um Verdun gerungen wurde, desto schwerer 
lastete der Druck der erstarkten russischen Macht auf der in Abwehr gebannten 
Ostfront der Verbündeten. In Kowno zweifelte niemand, daß der Russe 
die vorzeitig entfesselte Offensive im Frühsommer wieder aufnehmen werde. 
Die Brückenköpfe, die Kuropatkin vor Riga, Iakobstadt und Dünaburg be¬ 
setzt hielt, lockten zumAusfall gegen Lindenburgs schwachenNordflügel. Auch 
Everth war sicher nicht gesonnen untätig zu bleiben. Ragosas Armee lag 
zwar erschöpft und gelichtet in den Wäldern von Postawy, aber in Smorgon 
und Baranowitschi waren Verstärkungen eingetroffen, die auf Angriffs¬ 
absichten des linken Flügels der Leeresgruppe Everth schließen ließen. 
Die Österreicher waren sorgloser. Der Abzug der alpenländischen und 
niederösterreichischen Korps nach Trient und Bozen war in Ruhe erfolgt, 
die Lücke durch Dehnung der Abschnitte und Einschub von Ersatz ausgefüllt 
und der Feind nicht so zahlreich, daß man in Teschen einen überwältigenden 
Ansturm fürchtete. 
Conrad v. Lötzendorf hatte sich von Linsingens Stabschef, General 
Stoltzmann, von Erzherzog Josef Ferdinand, Puhallo, Boehm-Ermolli, 
Bothmer und Pflanzer-Baltin versichern lassen, daß sie jedem Angriff ge¬ 
wachsen seien, und arbeitete eifrig an den Plänen der Trentino-Offensive. 
Am 25. April ließ Conrad der deutschen Leeresleitung mitteilen, daß zwischen 
dem Etsch- und dem Suganatal zwei Armeen sprungbereit versammelt 
ständen, am 3. Mai schlug er los. 
Auch in Pleß maß man der russischen Gefahr geringe Bedeutung bei, 
um so geringere, als Eichhorn des Angriffs Ragosas binnen acht Tagen Lerr
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.