Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

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Die strategische Lage am 27. Februar 
Im Hauptquartier des Deutschen Kronprinzen kam man am Abend des 
26. Februar zur Erkenntnis, daß der Angriff der zum Sturm bereitgestellten 
Kräfte sich erschöpft hatte. Es galt im eroberten Trichter-gelände auf- 
zumarschieren und den Angriff nach neuer Vorbereitung mit verstärkter 
Wucht wieder aufzunehmen. Man durfte dem Verteidiger keine Zeit lassen, 
sich tiefer in den Boden zu graben und mit frischen Kräften zum Gegen¬ 
angriff überzugehen. Gelang der Aufmarsch rasch genug, so konnte das 
Schwert vielleicht doch noch so tief in den Nacken der Verduner Zentral¬ 
stellung gestoßen werden, daß Bänder und Wirbel zerschnitten wurden und 
der Widerstand des Feindes auf den Maashöhen völlig zusammenbrach. 
Dann war Verdun verloren und ein operativer Erfolg erzielt, von dem sich 
die deutsche Leeresleitung nicht nur strategische, sondern auch politische 
Früchte versprochen hatte, als sie die Feldzüge im Osten und Südosten vor¬ 
der Vollendung stillegte, um vor Verdun zu schlagen. 
Auch die französische Leeresleitung war sich am Abend des 26. Februar 
der Tatsache bewußt, daß der Tag den französischen Waffen noch keinen 
Sieg beschert hatte. Aber die drohende Panik war beschworen. Nur auf 
den Pariser Boulevards herrschte noch blasser Schrecken. Joffre hatte 
alles getan, den Feind auf dem rechten Maasufer aufzuhalten und Verdun 
zu reiten. Fortuna war ihm hold gewesen. 
Von diesem Tage an wurde die Schlacht um Verdun als Schicksals- 
schlacht in das Bewußtsein des französischen Volkes aufgenommen. Verdun 
wurde zum Symbol französischer Widerstandskraft, und die Behauptung 
der Festung in den Augen der Alliierten und der Neutralen zu einer Lebens¬ 
frage Frankreichs und zu einem Prüfstein für die innere Festigkeit der Entente. 
Damit wuchs die Bedeutung der Schlacht ins Übersinnliche. Die franzö¬ 
sische Leeresleitung schöpfte aus dieser Symbolisierung der Schlacht un¬ 
geahnte Kräfte. Die ganze Nation zitterte um Verdun und handelte da¬ 
nach. Joffre griff zu einem kühnen Mittel, die Verteidigung zu kräfügen 
und dem Leere die Bedeutung der Schlacht eindrücklich zu machen. Er 
ließ alle Armeen, ja beinahe alle Korps des französischen Leerbannes an 
der Schlacht teilnehmen, indem er der Reihe nach Division auf Division 
aus den Reservelagern und der Front zum Kampf aufrief und einige Tage 
bei Verdun ins Feuer sandte. So speiste er die Schlacht unaufhörlich mit 
frischen Kräften, auf die Gefahr, alle Einheiten der Armee zum Bluten 
zu bringen. 
Zwar sandte auch die deutsche Leeresleitung Verstärkungen nach Ver¬ 
dun, aber diese waren unendlich spärlicher gesät als die französischen und 
blieben viel länger im Feuer und auf dem zerwühlten Schlachtfeld liegen 
als die des Gegners. Die Angriffe der Deutschen waren von Siegesglauben
	        
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